Kompetenz­zentrum Frauen in Wissenschaft und Forschung

Geschlechtsbezogene und sexualisierte Gewalt in der Wissenschaft

Befragungsstudien

An dieser Stelle werden Befragungsstudien und Befragungsinstrumente vorgestellt, die an Hochschulen genutzt wurden, um Fallzahlen von sexueller Belästigung, Übergriffen und geschlechtsbezogener Gewalt zu erheben. Die Studien decken zudem wichtige Kontextfaktoren an Hochschulen auf, fragen nach Auswirkungen von und Einstellungen gegenüber sexuellen Übergriffen und liefern Einschätzungen zur Wirksamkeit von Schutzmaßnahmen.

Es wird empfohlen, dass Hochschulen mit unterschiedlichen Datenquellen arbeiten und die Befunde synthetisieren, um z.B. die tatsächlich gemeldete Prävalenz und Häufigkeit geschlechtsbezogener Gewalt auf ihrem Campus zu erfassen, auch wenn Fälle an verschiedenen Stellen gemeldet wurden.

Die American Association of Universities stellt Verantwortlichen darum einen Leitfaden für das Datenmanagement zur Verfügung (Moving Toward a "Data Ecosystem” to Assess Campus Responses to Sexual Assault and Misconduct. A Resource for College and University Decision-Makers.)

Die bis heute einzige europaweite Befragung zum Thema Gewalt gegen Frauen, die in allen 28 Mitgliedstaaten der EU durchgeführt wurde, geht nicht gesondert auf die Situation in der Wissenschaft ein. Dennoch ist die Studie hier erwähnenswert, da sie alle zentralen Gewaltformen umfasst, vorbildlich dokumentiert ist und seither einen wichtigen Referenzpunkt für geschlechterpolitische Entscheidungen darstellt. Die Studie umfasste Fragen zu Stalking, sexueller Belästigung und der Rolle, die neue Technologien bei den Missbrauchserfahrungen von Frauen spielen, zudem physische, sexuelle und psychische Gewalt, einschließlich Vorfälle von Gewalt durch einen Intimpartner.

Das EU-geförderte Projekt „Gender Based Violence, Stalking and Fear of Crime“ erhob 2009/2010 erstmalig vergleichbare qualitative und quantitative Daten über geschlechtsbezogene Gewalterfahrungen von Studentinnen an Hochschulen in sechs europäischen Ländern. In Deutschland nahmen 16 Hochschulen an der Befragung teil. Die Auswirkungen von Gewalterfahrungen auf Gesundheit und das Studium können zu Hindernissen und Unterbrechungen im Lebens- und Berufsweg einer Person führen. Die Studie wirft die Frage nach der Verantwortung der einzelnen Hochschulen für das gesellschaftliche Problem der Erfahrungen sexueller Gewalt unter Studentinnen auf.

Die „Australian Human Rights Commission“ führte 2017 und 2018 an 39 teilnehmenden australischen Hochschulen Studien zur Erfassung der Situation von sexueller Belästigung, sexueller Gewalt und Präventions- bzw. Interventionsmaßnahmen durch. Die Ergebnisse berichten über das Vorkommen von sexuellen Übergriffen und Belästigung sowie deren Folgen für die Betroffenen, Umgang mit Vorfällen seitens der Hochschulen und Ergebnisse einer Befragung unter unbeteiligten Zuschauer*innen in Australien. „Change the course“ heißt der Abschlussbericht von 2017.

Das „Center For Changing Our Campus Culture“ stellt in einem Index-Dokument verschiedene Ressourcen für US-amerikanische Universitäten zur Verfügung, die eine Umsetzung von Befragungen zum Betriebsklima und Belästigungsfällen an Hochschulen erleichtern. Verlinkt ist dort auch die Wikipedia-Seite der ARC3-Studie von 2015, in der das volle Spektrum sexueller Belästigung und sexueller Übergriffe in der Wissenschaft an zahlreichen Hochschulen und Colleges in den USA untersucht wurde.  

Auch die Vereinigung US-amerikanischer Universitäten, Association of American Universities (AAU), führte 2015 eine Umfrage zu sexuellen Übergriffen und sexuellem Fehlverhalten unter Studierenden an 27 Hochschulen durch. Ziel der Studie war es, Reaktionen auf sexuelle Übergriffe an den Universitäten zu dokumentieren und die evidenzbasierte Weiterentwicklung von Präventionsstrategien zu ermöglichen. Die Ergebnisse zeigen, dass Frauen und Studierende in den ersten Semestern am häufigsten von sexuellen Übergriffen betroffen sind. Die Website der AAU-Studie stellt Ergebnisberichte zur Verfügung, darunter finden sich Methodenbeschreibungen, Statistiken, Fragebögen und eine Kurzzusammenfassung der Studie. Der Fragebogen beinhaltet Fragen zur Wahrnehmung von sexueller Belästigung, Bekanntheitsgrad von Hilfe- und Beratungsangeboten, Erfahrungen mit verschiedenen Formen sexueller Belästigung, Erfahrungen mit Stalking, Intimpartnergewalt und Erfahrungen mit sexueller Gewalt. Die AAU wiederholte die Befragung 2019 und präsentiert den Ergebnisbericht an gleicher Stelle.

Den beiden oben besprochenen Studien aus den USA ging 2007 die Feldstudie „Campus Sexual Assault“ voraus. Für diese Untersuchung wurden Studentinnen und Studenten nach ihren Erfahrungen mit sexuellen Übergriffen befragt. Die Daten wurden nach personenbezogenen Charakteristiken, situations- und kontextspezifischen Risikofaktoren sowie hinsichtlich weiterer Gewalterfahrungen ausgewertet. Zu den berücksichtigten Kontextfaktoren zählen nicht nur Erfahrungen aus Laboren oder Hörsälen, sondern auch aus Wohnheimen und von Studierendenpartys.

In Frankreich führt das nationale Institut für demografische Studien INED seit 2013 eine landesweite Studie zu Gewalterfahrungen von Frauen und Männern durch, die VIRAGE-Studie. Ihr Ziel ist die Bewertung von Maßnahmen gegen Gewalt sowie eine Aktualisierung des Wissens über Gewalterfahrungen. Ein Teil der Studie widmet sich unterschiedlichsten Gewalterfahrungen an Universitäten, worunter auch sexuelle, körperliche oder verbale Gewalt fällt bzw. Kombinationen dieser. An verschiedenen Universitäten wurden Studierende befragt. Die Studien-Webseite präsentiert eine Reihe von Auswertungen, Ergebnisberichte sowie Methodenberichte.

Ohne eigene Daten zu erheben, beauftragte „Universities UK“ eine Expert*innenkommission mit der Auswertung einzelner Studien und einer Erhebung der Studierendenunion, um das Ausmaß von Belästigungsvorkommen, insbesondere von sexueller Belästigung, zu bewerten und Gegenmaßnahmen vorzuschlagen.

An Hochschulen in Spanien wurde 2005-2008 die erste quantitative Umfrage zu Gewalt gegen Frauen in der Wissenschaft durchgeführt, gefolgt von einem EU-Interventionsprojekt Universities Supporting Victims of Sexual Violence (USVreact). Auf der Seite Tools und Ressourcen zu Prävention und Intervention finden Sie unter Interventionsmaßnahmen nähere Ausführungen zu USVreact.

Auch in der Tschechischen Republik wurde dem Thema geschlechtsbezogener und sexualisierter Gewalterfahrung unter weiblichen Universitätsangestellten, hier im Kontext von Mobbing, nachgegangen.

Das EU-Projekt Ending Sexual Harassment and Violence  in Third Level Education (ESHTE) führte keine eigene Befragungsstudie an Hochschulen durch, sondern bewertete bereits vorliegende Daten aus Umfragen und allgemeinen Bevölkerungsstatistiken neu. 

Auf geschlechtsbezogene und sexualisierte Gewalt folgen in der Regel nur dann Maßnahmen, wenn sie als solche wahrgenommen und erkannt werden. Barak et al. weisen auf eine Reihe sozialpsychologischer Faktoren hin, die zu erklären versuchen, wie es zur Differenz zwischen objektiven Situationsmerkmalen und subjektiver Wahrnehmung von Belästigungsfällen kommt. Weiter dachte Bursik, die neben Individualfaktoren die Machtdifferenz zwischen Täter*in und viktimisierter Person berücksichtigt.

In der Forschung über Sexismus stellt die Skalierung sexistischer Einstellungen gegenüber Frauen bzw. Männern eine etablierte Messgröße dar. Daneben werden „Mythen“ über sexuelle Belästigung oder Gewalt an Frauen in Skalen abgefragt.

Zur Messung von Toleranz gegenüber psychischer Belästigung am Arbeitsplatz innerhalb von Organisationen, dazu zählt u.a. verbale und nicht-physische sexuelle Belästigung, dient die POT-Skala. Hierbei steht die Sorgfalt im Mittelpunkt, mit der Organisationen die psychosozialen Risiken ihrer Beschäftigten, denen sie am Arbeitsplatz ausgesetzt sind, handhaben.

Die Campus Climate Survey Validation Study (CCSVS) bewertet für Online-Befragungen, wie sich die Dauer der Feldperiode und die Höhe eines Anreizbeitrags auf die Anzahl der Antworten, die Repräsentativität der Stichprobe und die Genauigkeit der aus den Befragungsergebnissen hochgerechneten Fallhäufigkeiten auswirken. Die Ergebnisse dieser Methodenforschung deuten darauf hin, dass der Einsatz von monetären Anreizen einen möglichen Verzerrungseffekt durch eine ggf. vorliegende intrinsische Motivation korrigiert.

Eine geringe Befragungsbeteiligung an quantitativen Erhebungen kann, gerade bei kleinen Fallzahlen, zu starken Verzerrungseffekten in den Studienergebnissen führen. Nach Giroux et al. ist in Hochschulen und Forschungseinrichtungen eine gewissenhafte und vorausschauende Planung daher besonders wichtig, um die Befunde weniger Anfällig für statistische Fehler zu machen. Darüber hinaus muss sichergestellt sein, dass eine Re-Identifizierung einzelner Personen ausgeschlossen ist. Die WHO stellt 2001 für die Forschung im Themenfeld „Gewalt gegen Frauen“ einen speziellen Leitfaden zur Verfügung, der Antworten auf Fragen zu Sicherheit, Anonymität und Forschungsethik gibt. Die Themen Vertraulichkeit und Respekt gegenüber viktimisierten Personen sowie weitere forschungsethische Faktoren bespricht Rosoff 2017 für die Untersuchung von sexuellen Übergriffen an Hochschulen.

Die Taumaforschung hat das Bewusstsein für die Anliegen von Betroffenen geschärft und die Bewegung für eine trauma-informierte Umfragepraxis ins Leben gerufen. Diese betont, dass das Wohlergehen der viktimisierten Personen in allen Interaktionen, Entscheidungen und Programmpraktiken im Mittelpunkt stehen muss. Das hat Folgen für die empirische Forschung, die einerseits einen größtmöglichen Zugang zu Forschungsdaten ermöglichen (Open Science) und andererseits eine trauma-informierte Forschungsethik formulieren muss.

Allzu oft gehen etablierte Skalen und Befragungsinstrumente davon aus, dass Frauen in der Gewaltforschung die Rolle der viktimisierten Person und Männer die Rolle der Täter einnehmen. Walby und Towers schlagen ein differenziertes Vorgehen in der geschlechtsbezogenen Gewaltforschung vor, wobei sie zusätzlich den Sachverhalt der Mehrfachviktimisierung berücksichtigen. Außerhalb der Erforschung von Gewalt und Belästigung wird in der sozialwissenschaftlichen Umfrageforschung zwischen biologischen und sozialen Geschlechtsidentitäten unterschieden.

Eine Studie der Universität South Carolina versucht durch die Erhebung von Erfahrungsberichten, die mit den Methoden Text Mining und Topic Modelling bewertet wurden, neue Möglichkeiten zu finden, mehr Licht auf die Dunkelziffer nicht gemeldeter Belästigungsfälle zu werfen.