Kompetenz­zentrum Frauen in Wissenschaft und Forschung

Geschlechtsbezogene und sexualisierte Gewalt in der Wissenschaft

Definitionen

Die Literatur zum Thema geschlechtsbezogene und sexualisierte Gewalt zeigt, dass eine Vielzahl von Begriffen verwendet wird, um das Phänomen zu beschreiben. Neben „geschlechtsbezogener Gewalt“ werden synonym unter anderem Begriffe wie „Gewalt gegen Frauen“ (WHO, 2021), „geschlechtsspezifische Gewalt“, oder „sexualisierte Diskriminierung und Gewalt“ verwendet (bukof, 2022). Teilweise werden die Begriffe als Synonyme verwendet, teilweise werden sie konzeptionell differenziert genutzt. Die theoretische und konzeptionelle Auseinandersetzung mit geschlechtsbezogener Gewalt, ihrer Prävalenz und Folgen ist ein sich stetig weiterentwickelnder Forschungsbereich in dem bezüglich der verwendeten Begriffe noch an konzeptioneller Klarheit fehlt (Strid et al., 2021; Humbert et al., 2024). Karen Boyle hinterfragt 2018 in ihrer theoretischen Reflexion die häufige Gleichsetzung von „geschlechtsbezogener Gewalt“ mit „Gewalt gegen Frauen“ und plädiert für eine ausreichende Differenzierung der Zusammenhänge zwischen Geschlecht und Gewalt. Gerade im deutschsprachigen Raum, hat diese Auseinandersetzung für den Bereich der Wissenschaft in den letzten Jahren gerade erst begonnen (Mense et al., 2022). Zentral ist es daher auf die in einzelnen Studien verwendeten Definitionen und inhaltlichen Zuschnitte zu achten.

Der größte Teil der Literatur, der für die Erstellung dieser Seite gesichtet wurde, stammt aus dem angelsächsischen Sprachraum. Dies erklärt einerseits die häufige Anlehnung an Fachtermini, die sich im englischen Sprachraum etablierten, z. B. „Survivor“ oder „Active Bystander“. Andererseits signalisiert die Verwendung englischer Fachbegriffe in der Forschungsliteratur, der wir in den Texten dieser Seite folgen, dass der deutschsprachige (sozialwissenschaftliche) Fachdiskurs zum Thema nicht nur Anknüpfungen in den englischen Forschungsdiskurs sucht, sondern eine stigmatisierungsfreie Sprache (vgl. Metzner, 2018) diskursiv und über Sprachgrenzen hinweg verhandelt wird.

Für das Europäische Gleichstellungsinstitut (EIGE) stellt die Arbeit gegen geschlechtsbezogene Gewalt und Gewalt gegen Frauen einen Schwerpunkt dar. Eine Datenbank des EIGE macht rechtliche Definitionen zentraler Tatbestände wie sexuelle Belästigung, Stalking oder Vergewaltigung aus allen Mitgliedstaaten der EU zugänglich. 

Weitere Informationen zur Rechtslage finden Sie auf der Seite Rechtliche Situation in Deutschland.

Der Minister*innenrat des Europarates beschloss in einer Empfehlung 2019 gegen Sexismus vorzugehen (Council of Europe, Committee of Ministers, 2019). Darin definiert er Sexismus als jedwede Handlung oder Geste, visuelle Darstellung, Worte, Praktiken oder Verhaltensweisen, die auf der Vorstellung beruhen, dass eine Person oder Gruppe von Personen aufgrund ihres Geschlechts minderwertig sei. Wenn diese Handlungen in Verbindung mit einem der Wirkungsziele – die Würde der Person zu verletzen oder ihr einen physischen, sexuellen, psychischen oder sozioökonomischen Schaden zuzufügen, ein erniedrigendes oder einschüchterndes Umfeld zu erwirken, der Erfüllung der Menschenrechte einer Person entgegenzustehen oder Geschlechterstereotype aufrechtzuerhalten bzw. diese zu verstärken – stehen, sollen Maßnahmen gegen Sexismus getroffen werden. Das Europäische Gleichstellungsinstitut EIGE spricht von Sexismus, wenn Geschlechterrollenerwartungen im Arbeitskontext essentialisiert werden und sich durch Geschlechterungerechtigkeiten ausdrücken.

Ein Video des Europarates illustriert zudem, was Sexismus ist und welche Folgen Alltagssexismus haben kann.

Laut dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) stellt sexuelle Belästigung „ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, das bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, indem insbesondere ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird“ dar (Antidiskriminierungsstelle des Bundes, 2015). Darunter fallen unerwünschte sexualisierte Handlungen, Vergewaltigungen sowie sexualisierte, herabwürdigende Bemerkungen sowie das Zeigen von pornografischen Bildern.

Strafrechtlich relevant wird sexuelle Belästigung in Deutschland jedoch erst, wenn eine Person „in sexuell bestimmter Weise körperlich berührt und dadurch belästigt“ wurde (§ 184i StGB).

Die Abteilung WomenWatch der Vereinten Nationen stellt für ihre Definition „What is Sexual Harassment“ eine Liste mit Beispielen verbaler, nicht-verbaler und physischer sexueller Belästigung zusammen.

Der Begriff der geschlechtsbezogenen Gewalt (gender-based violence, häufig abgekürzt durch GBV) ist besonders im angelsächsischen Wissenschaftsdiskurs verbreitet und umfasst alle Formen von sexuellen Übergriffen, Vergewaltigung, häuslicher Gewalt, sexueller Belästigung, sexuellem Zwang, Zwangsheirat und Stalking (Hearn & Parkin, 2001; Anitha & Lewis, 2018).

  • Die bukof spricht unter Berufung auf das AGG § 3 in diesem Kontext von „sexualisierter Diskriminierung und Gewalt“, darunter fallen „alle Verhaltens- und Handlungsweisen […] die beleidigend, demütigend, von den davon Betroffenen nicht erwünscht sind und als abwertend und herabwertend erlebt werden“.  Genauso wie bei „sexueller Belästigung“ spielt die Herabwürdigung des Opfers durch eine Wortwahl oder Tat, die ein Machtgefälle zwischen Täter*in und Opfer herstellt, eine zentrale Rolle.

Forschung zu geschlechtsbezogener und sexualisierter Gewalt erfolgt in vielen unterschiedlichen wissenschaftlichen Fachdisziplinen. Infolge der Verschiedenartigkeit fachlicher Perspektiven – und um die Voraussetzungen und Folgen von Gewaltakten besser zu verstehen – haben sich Typologien und Klassifizierungsparameter von Übergriffen bzw. geschlechtsbezogenen Gewalttaten entwickelt. Auch hier lässt sich in der Literatur beobachten, dass die Typologisierung und Operationalisierung von geschlechtsbezogener Gewalt nicht einheitlich verwendet werden. Es gibt jedoch Parameter, die häufig verwendet werden, um zwischen verschiedenen Gewaltakten zu unterscheiden.

Dazu zählt der Lebensbereich, in dem sich die Gewalt abspielt, also im öffentlichen, beruflichen oder familiären/privaten Lebensraum. Ausschlaggebend für eine Zuordnung ist einerseits der Tatort, andererseits die Beziehung zwischen Täter*in und betroffener Person (Survivor). Beide Parameter sind wichtig für die Bewertung von Schutzlücken und Unterstützungsangeboten.

Weitere Unterscheidungsparameter beziehen sich auf die Art der Gewalt. Eine Vielfach verwendete und übernommene Unterteilung, welche das breite Spektrum der Gewalttaten und deren Zusammenhänge verdeutlicht, sind die Gewaltformen, die in der Istanbul Konvention des Europarates definiert werden: physische Gewalt, psychische Gewalt, sexualisierte Gewalt, ökonomische Gewalt. Diese Gewaltformen verdeutlichen, dass es nicht zwingend zu einem körperlichen Übergriff kommen muss, um von Gewalt zu sprechen. So werden unter psychischer Gewalt vor allem verbale Übergriffe verstanden, beispielsweise Beleidigungen, Zwang oder Drohung (EIGE, 2024; Istanbul Konvention, 2014). 

Diese Klassifizierung basiert auf der Erkenntnis, dass die verschiedenen Arten von Übergriffen unter unterschiedlichen Umständen auftreten und dass diese Umstände sich unterschiedlich auf die Betroffenen und die damit verbundenen Folgen auswirken (z. B. die Wahrscheinlichkeit einer Anzeige sowie Folgen für den Lebensweg).

Eine weitere Form geschlechtsbezogener Gewalt, die im Kontext des Arbeitslebens immer mehr an Bedeutung gewinnt, ist digitale Gewalt. Sie umfasst verschiedenste Gewaltakte, die durch Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) ausgeübt werden. Aufgrund der relativen Neuheit dieser Gewaltform bestehen terminologische und konzeptionelle Überschneidungen sowie die synonyme Verwendung von Begriffen, wie beispielsweise Cybergewalt oder online Gewalt (bff &  Prasad, 2021; Montero-Fernández et al., 2023).

Viele der Gewaltformen treten gehäuft miteinander auf oder infolge einer anderen Gewalterfahrung. Gewalttaten wie technikgestütztes Stalking (technology-facilitated stalking) oder das ungefragte und ungewünschte Versenden von Nachrichten und Bildern mit sexuellen Inhalten gelten als Prädiktoren digitaler Viktimisierung (DeKeseredy et al., 2019). Entscheidend für eine Bewertung und die Auswirkungen der Taten gelten die Reaktionen im sozialen Umfeld von Gewalttäter*innen und auch der gewaltbetroffenen Personen. Die Studie zeigte, dass ein Ermuntern zur Übermittlung sexualisierter Nachrichten und Bilder bzw. zu Online-Stalking wie auch die Rechtfertigung solcher Taten vonseiten gleichaltriger Kommiliton*innen das Verhalten der Täter*innen legitimiert und sich signifikante Zusammenhänge zu Gewalt in der Partnerschaft und anderen Arten sexueller Übergriffe nachweisen lassen.