Geschlechtsbezogene und sexualisierte Gewalt in der Wissenschaft

Rechtliche Situation in Deutschland

Es existiert in Deutschland keine einheitliche rechtliche Definition von sexualisierter Gewalt oder sexueller Belästigung. Während der Begriff „sexuelle Belästigung“ sowohl im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) als auch im Strafgesetzbuch (StGB) verwendet wird, ist „sexualisierte Gewalt“ kein formaler Rechtsbegriff.  Der Begriff „Gewalt“ wird z.B. in § 177 Abs. 5 StGB genannt im Zusammenhang mit der Strafverschärfung bei  sexuellen Übergriffen, sexueller Nötigung und Vergewaltigung. Das AGG definiert „sexuelle Belästigung“ in § 3 Abs. 4 als eine Art von verbalem, non-verbalem und körperlichem Verhalten: „Eine sexuelle Belästigung ist eine Benachteiligung in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.“

Im juristischen Diskurs wird auch der Begriff sexualisierte Gewalt verwendet, um Verletzungen des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung zu beschreiben. So bezeichnet beispielweise das Deutsche Institut für Menschenrechte sexualisierte Gewalt als geschlechtsspezifische Gewalt und eine Menschenrechtsverletzung.

Im Folgenden werden daher beide Begriffe verwendet und die Rechtslage in drei Rechtsbereichen, die für die Wissenschaft relevant sind, kursorisch dargestellt: Arbeits- und Wissenschaftsrecht sowie Strafrecht.

Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist unter den Voraussetzungen des § 3 Abs. 4 AGG eine Benachteiligung in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1-4 AGG (zur Definition: s.o.). Der Schutz ist nicht auf das Büro, das Unternehmensgebäude oder die Arbeitszeit beschränkt. Das Gesetz verbietet jede Form der sexuellen Belästigung, die innerhalb eines Arbeitsverhältnisses stattfindet. Dazu zählen: Dienstreisen, Arbeitswege, Firmenfeiern, Betriebsausflüge, Pausen sowie SMS, E-Mails oder Anrufe (https://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/Leitfaeden/leitfaden_was_tun_bei_sexueller_belaestigung.html).

Des Weiteren können Hochschulgesetze auf Landesebene Sonderregelungen aufgrund der Gesetzgebungsbefugnis für die Wissenschaft enthalten. Die einzelnen Hochschulgesetze der Länder enthalten unterschiedliche Regelungen zum Schutz vor sexualisierter Diskriminierung und Gewalt. Dies betrifft zum Beispiel die Aufgaben der Gleichstellungsbeauftragten oder die Rechte und Pflichten von Studierenden, die vom Schutzbereich des AGG nicht umfasst sind. Teilweise gelten auch die Landesgleichstellungsgesetze neben oder in Ergänzung zu den Hochschulgesetzen. Eine Übersicht über die einschlägigen Vorschriften finden Sie in der Datenbank zum Gleichstellungsrecht des CEWS in der Kategorie „Schutz vor sexualisierter Diskriminierung und Gewalt.“  Vereinzelt sind auch Vorschriften bezüglich der Exmatrikulation von Studierenden vorhanden, die gegen das AGG verstoßen haben.

Das Verbot der sexuellen Belästigung in § 3 Abs. 4 AGG gilt nur für Personen, die unter den Anwendungsbereich des Gesetzes gemäß § 2 Abs. 1 AGG fallen. Dies sind insbesondere Beschäftigte und Bewerber*innen. Gemäß § 24 AGG gelten die Bestimmungen des AGG explizit für Beamtinnen und Beamte von Bundesinstitutionen, wie z.B. Universitäten. Studierende, die kein Beschäftigungsverhältnis mit einer wissenschaftlichen Einrichtung haben, fallen nicht unter den Schutzbereich des AGG, dies bestätigt eine Rechtsexpertise der Antidiskriminierungsstelle des Bundes 2020 (2. Auflage). Einige Bundesländer haben in den Hochschulgesetzen Regelungen zur Anwendung des AGG auf Studierende integriert, z.B. § 42 Abs. 6 Niedersächsisches Hochschulgesetz.

Gemäß § 13 AGG muss jeder Betrieb, jedes Unternehmen und jede Dienststelle eine Beschwerdestelle einrichten. Die Umsetzung dieser Vorgaben für die wissenschaftlichen Einrichtungen ist bislang nur unzureichend erfolgt. Nicht alle Einrichtungen haben beispielsweise Informationen über ihre Beschwerdestellen online verfügbar. Häufig sind auch die Beschwerdeverfahren nicht oder nicht transparent geregelt. Der Deutsche Hochschulverband (DHV) fordert in einer Resolution z.B., dass Clearingstellen gesetzlich verankert und eingerichtet sein müssen sowie die Implementierung umfassender Verfahrensvorkehrungen.

Abgesehen davon sind die Arbeitgeber*innen verpflichtet, gemäß § 13 AGG die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz vor Benachteiligungen zu treffen, hierzu gehören auch vorbeugende Maßnahmen.

Die Rolle der Frauen und Gleichstellungsbeauftragten

Im Hinblick auf die Aufgaben und Rechten der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten beim Schutz vor sexualisierter Diskriminierung und Gewalt gelten in den einzelnen Bundesländern unterschiedliche Regelungen. Es herrschen deutliche Unterschiede zwischen den Bundesländern im Hinblick auf ihre Hochschul- und Gleichstellungsgesetze.

Die meisten Bundesländer regeln den Umgang mit sexueller Belästigung innerhalb der Gleichstellungsgesetze und verweisen dabei auf die Akteur*innen (z.B. Frauen- oder Gleichstellungsbeauftragte) als erste Ansprechpartner*innen. In den meisten Hochschulgesetzen findet der Schutz vor sexueller Belästigung der Hochschulmitglieder keinen Raum, da bereits das AGG Anwendung findet. Eine Ausnahme bildet das Hamburgische Hochschulgesetz (HmbHG): Danach können sich Angehörige und Mitglieder der Hochschule, die nicht Beschäftigte sind, gemäß § 87 Abs. 6 HmbHG im Fall von sexueller Belästigung an die zuständigen Gleichstellungsbeauftragten wenden.

Vereinzelte Bundesländer wie Berlin und Rheinland-Pfalz regeln den Schutz vor sexueller Belästigung als Bestandteil der Gleichstellungspläne innerhalb der Hochschulgesetze (vgl. § 5a S. 1 Nr. 6 BerlHG; § 76 Abs. 2 Nr. 16 HochSchG). Die Einbeziehung der Frauen- bzw. Gleichstellungsbeauftragten ist hingegen in diesen Bundesländern in den Gleichstellungsgesetzen geregelt (vgl. § 17 Abs. 7 LGG; § 24 Abs. 1; 2 u. 3 Nr. 3).

Einen Sonderfall stellt Baden-Württemberg dar: Zusätzlich zu den Gleichstellungsbeauftragten stellt die Hochschule eine Ansprechpartnerin und einen Ansprechpartner, die für Fragen zu sexueller Belästigung konsultiert werden können (§ 4 Abs. 9 LHG).

Das Strafgesetzbuch (StGB) regelt im 13. Abschnitt die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Am 10. November 2016 trat eine Reform des Sexualstrafrechts in Kraft. § 177 StGB wurde neu gefasst und die §§ 184i und 184j StGB neu eingeführt. Seit dem Inkrafttreten der Gesetzesnovellierung kann auch die sexuelle Belästigung, die bisher vollumfänglich nur über das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz im Arbeitskontext, im öffentlichen Raum aber nur ab einer gewissen Erheblichkeit strafbar war, geahndet werden (§ 184i StGB). Hierfür muss der Täter mit seinem eigenen Körper den Körper des Opfers sexuell motiviert berühren. Die Norm ist als sogenanntes Antragsdelikt ausgestaltet, sodass die betroffene Person selbst entscheiden kann, ob sie die Belästigung für verfolgungswürdig hält (https://www.bpb.de/apuz/240913/sexualisierte-gewalt-im-reformierten-strafrecht?p=1).

Eine erste Bilanz der Reform fällt kritisch aus: https://www.deutschlandfunkkultur.de/reform-des-sexualstrafrechts-bilanz-nach-fuenf-jahren-100.html. Der Aufsatz von Dr. Konstantina Papathanasiou informiert aus rechtlicher Sicht über die Reform.