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Kompetenz­zentrum Frauen in Wissenschaft und Forschung

Act – Resistance! Gender, Diversity and the Performing Arts

Zeitraum:
Ort: Hybrid-Veranstaltung: Online & Präsenz (mit Livestream)
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Künstlerisch-wissenschaftliches Symposium, Hochschule für Musik und Theater Hamburg,Theatercampus Wiesendamm
Do, 20. – Sa, 22. Mai 2021

Keynote: Sara Ahmed – «Complaint as Feminist Pedagogy»

Call for Papers: Einsendefrist 15. März 2021
Hybrid-Veranstaltung: Online & Präsenz (mit Livestream)

Wer mit der eigenen Arbeit dort ansetzt, wo institutionelle Strukturen festgefahren oder verstopft zu sein scheinen, kann mit Sara Ahmed als «institutional plumber» bezeichnet werden (Ahmed 2016). Die Metapher weist u.a. auf das praktische Geschick und die Ausdauer hin, die nötig sind, um diversitätssensible Institutionen immer wieder neu einzufordern. Sich um Vielfalt und Inklusion zu bemühen, ist in diesem Sinne nicht nur eine theoretische Aufgabe, sondern ein mitunter strapaziöses Handwerk, bei dem es auch mal ‹dreckig› zugehen kann. Reflexionsfiguren wie Ahmeds institutionelle Klempner*innen im Zwischenbereich von Praxis und Theorie liefern für künstlerisch-wissenschaftliche Forschung und die Analyse widerständiger Praktiken hilfreiche Impulse.

Nicht zufällig handelt es sich bei Klempner*innen um einen kulturell gegenderten Berufszweig, der als vornehmlich männliche Domäne gilt. In der (queer-)feministischen Aneignung steckt somit schon ein Stachel des Protests. Der fäkale Charakter der Gegenstände, mit denen sich – traditionelle wie auch institutionelle – Klempner*innen auseinandersetzen und die es von Unrat zu bereinigen gilt, ist für die Betroffenen Störfaktor und Routine zugleich. Der Arbeitsauftrag für das kulturelle Feld ist dabei denkbar klar: Ekel kann als ästhetische Erfahrung fruchtbar sein, manchmal muss man eben «art with shit» machen (Tecklenburg 2006). Kulturarbeit ermöglicht ganz eigene Fragen, Formen und Materialitäten für gegen-institutionelles Wissen.

Dass Anliegen rund um Gender, Diversität und Inklusion auch im Theater des 21. Jahrhunderts von Egalität noch weit entfernt sind, machen Initiativen wie das 2016 gegründete Ensemble Netzwerk sichtbar, das strukturelle Fragen zu Arbeitsbedingungen an (Stadt-)Theatern, an Opernhäusern und in der freien Szene mit neuer Dringlichkeit stellt. Bestehende Dilemmata verfestigter Machtasymmetrien werden darüber hinaus in theaterwissenschaftlichen bzw. -soziologischen Studien bekräftigt und prägen zahlreiche feuilletonistische Debatten mit (Lehmann et al. 2019, Schmidt 2019). Auch ein Blick auf die letztjährige Auswahl des Berliner Theatertreffens verdeutlicht die Relevanz der Thematik: Erstmals wurde eine Frauenquote von 50 Prozent für die einzuladenden Regisseur*innen der zehn bemerkenswertesten Inszenierungen eingeführt.

Dessen ungeachtet wird Schlagwörtern wie Gender und Diversität im medialen Diskurs immer wieder der Status von ‹Buzzwords› zugeschrieben, deren (vermeintlich) inflationäre Nutzung und ubiquitäres Vorkommen ihr kritisches Potential abzuschwächen drohen. Mit dem Ziel, einem Wuchern der Diskurse und einer (Re-)Produktion von theoretischen Gemeinplätzen entgegenzuwirken, soll beim Symposium unter dem Motto «Act – Resistance!» nach konkreten Strategien im Umgang mit Faktoren der Ungleich­machung gefragt werden. Im Fokus steht eine künstlerisch-wissenschaftliche Befragung von widerständigen Praktiken in den szenischen Künsten der Gegenwart.

Widerständige Praktiken und «Gegen-Verhalten» sind dabei vielgestaltig und verweisen auf ein komplexes Wechsel­spiel von Subversion und Affirmation (Bröckling 2017). Sie können sowohl Normbruch, Überschreitung und Verweigerung bedeuten als auch den Modus des Nonkonformismus ins Gegenteil verkehren und mit hyperaffirmativen, d.h. über­bejahenden Strategien agieren. Widerständige Praktiken können die großen Gesten einfordern oder sich einem marktschreierischen Duktus gänzlich entziehen und in kleinteiligen, fast unsichtbaren Mikropraktiken wirksam werden. Letztlich können sie immer auch den Strukturen eines kybernetischen Kapitalismus anheimfallen, der Widerständigkeit absorbiert und ihre konkreten Ausgestaltungen als Innovationskompass für andere Zwecke nutzt.

Die zentralen Fragen und Anliegen des Symposiums lauten:

1) Was tun widerständige Praktiken? Welche Formen von Kritik und Gegen-Verhalten können wirkkräftig sein? Worin liegen die Besonderheiten theatraler Praktiken?
2) Wie lassen sich Mechanismen von «non-performativity» beschreiben und/oder aufbrechen (Ahmed 2006)? Was sind Barrieren, die zu eingeschränkter Agency beteiligter Akteur*innen führen können?
3) Wie können diesbezüglich Relationen von Theorie und Praxis gedacht, verhandelt und produktiv gemacht werden?

Mögliche Themen (mit besonderem Fokus auf die szenischen Künste: Sprechtheater, Musiktheater, Tanz, Performance und Performance-Installationen):

- Widerständige Kunstformate oder Genres: z.B. Appropriation Art, Interventionskunst
- Spezifische widerständige Praktiken, künstlerische Strategien oder ästhetische Verfahrensweisen: z.B. Mikropraktiken, hyperaffirmative Kritik, (ästhetische) Verweigerung, Erzeugung von Unsicherheiten, kalkulierte Shit- und Candystorms, Formen ‹softer› Widerständigkeit, Techniken der Beeinflussung
- Kunst und/als Aktivismus, Artivismus
- Vulnerabilität und Empowerment
- Kollektive Identitäten und ihre Kritik
- Beschwerdekulturen und «non-performativity»
- Ahmeds Konzepte von «willfulness», «(feminist) killjoys» oder «institutional plumbers»
- Körperdiskurse: (Un-)Sichtbarkeiten, (Nicht-)Erzählbarkeiten, New Materialism(s)
- (Un-)Doing Gender: Geschlecht auf und jenseits der Bühne
- (Un-)Doing Intersectionality: Intersektionalitätsforschung im Spiegel der szenischen Künste
- Wie mit ‹blinden Flecken› (der eigenen Positionen) umgehen?
- Gender und Diversität als ‹Buzzwords›?
- Ermöglichung von Teilhabe und Öffnung der Räume: Safe Spaces, Open Spaces

Es werden Abstracts (max. 300 Wörter) für 20-minütige Vorträge oder künstlerisch-wissenschaftliche Formate (z.B. Lecture Performance, analoge oder digitale Intervention) erbeten. Vortragssprachen sind Deutsch und Englisch. Einsendungen inkl. Kurzbiographie und dem Hinweis, ob ein Präsenz- oder Online-Beitrag geplant ist, können bis zum 15. März 2021 an katharina.alsen(at)hfmt-hamburg(dot)de gerichtet werden. Die Rückmeldung erfolgt bis zum 1. April 2021. Eine Veröffentlichung ausgewählter Beiträge wird angestrebt.

Konzeption & Organisation: Katharina Alsen (Theaterakademie Hamburg)
Gefördert von der Thörl Stiftung