Freies Erzählen im totalen Raum? – Machtprozeduren des Asylverfahrens in ihrer Bedeutung für biografische Interviews mit Flüchtlingen
Titelübersetzung:Free Telling in the Total Space?—On the Procedures of Power in the Asylum Procedure and Their Relevance for Biographical Interviews of Refugees
Autor/in:
Thielen, Marc
Quelle: Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 10 (2009) 1, 13 S
Inhalt: Basierend auf Erfahrungen in einem Forschungsprojekt mit iranischstämmigen Migranten geht der Beitrag der Frage nach, inwiefern sich die umfassend reglementierte und damit weitgehend fremdbestimmte Lebenssituation als Flüchtling im deutschen Asyl auf die biografische Selbstthematisierung in Forschungszusammenhängen auswirkt.
Unabhängig vom jeweiligen Forschungsgegenstand beeinflusst der Kontext der Interviewsituation und die darin zustande kommende Beziehung zwischen Forschenden und Beforschten grundsätzlich die Gestalt der biografischen Erzählung. Infolge der Machtprozeduren im "totalen Flüchtlingsraum", die mit institutionell weitreichenden Zugriffen auf die Biografien von Asylsuchenden verbunden sind, ließ sich in den untersuchten Interviews jedoch eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Verschärfung des ohnehin vorhandenen Hierarchieverhältnisses beobachten. In Anbetracht der empirischen Beobachtungen wird für eine reflexive biografiewissenschaftliche Migrationsforschung plädiert, die die Machtverhältnisse im transnationalen Raum in ihren Auswirkungen auf den Forschungsprozess systematisch analysiert. Forschende und Beforschte sind dabei nicht lediglich in ihren kulturellen Differenzen zu betrachten, sondern darüber hinaus in ihren unterschiedlichen intersektionellen Positionierungen, die von weiteren Machtmomenten wie dem sozioökonomischen Status, der Nationalität, dem Geschlecht, der Sexualität usw. bestimmt werden.
Inhalt: Based on a research project with migrants from Iran this paper focuses on the influence of a strictly regulated German asylum life situation on autobiographical telling in research contexts. Regardless of the specific research topic the interview situation and the relationship between interviewer and interviewee always influence shape, form and fashion of the biographical narration. As a result of the strict regimentation of the asylum procedures and their far-reaching impact on biographies in the "total refugee space," an intensification of the hierarchical structure in the interview situation can be observed. Considering the empirical results this paper calls for a reflexive biographical research. This approach has to analyze the power relations in the transnational space and their consequences on the research process. It also has to recognize that researchers and interviewees are not only confined to their culture differences, but that the setting comprises all intersectional localizations, which are defined by social and economic status, nationality, gender, sexuality etc.
Insecure belongings: a family of ethnic Germans from the former Soviet Union in Germany
Titelübersetzung:Unsichere Zugehörigkeiten: Lebens- und Familiengeschichte von drei Frauen einer ethnisch deutschen Familie aus der ehemaligen Sowjetunion
Autor/in:
Ballenthien, Jana; Büching, Corinne
Quelle: Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 10 (2009) 3, 26 S
Inhalt: In diesem Beitrag wird der Frage nach der Transformation von Zugehörigkeitskonstruktionen im Laufe des Lebens, eingebettet in die Familien- und Kollektivgeschichte, nachgegangen. Anhand der Falldarstellung dreier Frauen einer Familie, die als ethnische Deutsche aus der ehemaligen Sowjetunion Anfang der 1990er Jahre nach Deutschland einwanderten, zeigen wir, wie durch den Migrationsprozess und die Fremdzuschreibungen im Ankunftsland Fragen der Zugehörigkeit ausgelöst werden. Es wird deutlich, welche Strategien der biografischen Arbeit die unterschiedlichen Familienangehörigen jeweils leisten. Dies ist auf ihre spezifischen lebensgeschichtlichen Erfahrungen – und damit verbunden ihre Zugehörigkeit zu unterschiedlichen historischen Generationen – zurückzuführen. So werden bei der Großmutter während der Migration nach Deutschland die Erlebnisse der Deportation von der Wolgarepublik nach Sibirien im Zuge des Zweiten Weltkriegs reaktiviert und ihre Zugehörigkeitskonstruktion als Wolgadeutsche wird verfestigt. Ihre Schwiegertochter hingegen nähert sich nach der Migration der Frage nach ihrer eigenen Zugehörigkeit über die Frage nach der Zugehörigkeit zu einer religiösen Wir-Gruppe an. Die Enkelin wiederum beschäftigt sich vor und nach der Migration relativ erfolgreich damit, die Verbindung zwischen der Zugehörigkeit zu ihrer Herkunftsfamilie und ihren Peergroups in der – zunächst durch die russische Dominanzkultur geprägten – Sowjetgesellschaft und später in der deutschen Mehrheitsgesellschaft zu finden.
Inhalt: This article takes a look at the transformation of constructions of belonging during the course of life, and how they are embedded in family and collective history. Based on a case study of three women belonging to one family, who as ethnic Germans migrated in the early 1990's from the Soviet Union to Germany, we were able to demonstrate how questions of belonging were initiated by the migration process and the attributes ascribed to them in their country of arrival. Different family members were seen to perform different strategies of biographical work. This was due to their unique autobiographical experience and their belonging to different historical generations. Thus, the grandmother's experience of deportation from the Volga Republic to Siberia during the course of the Second World War was reactivated during her emigration to Germany. This reconfirmed her construction of belonging as a Volga German. Whereas after migration her daughter in law conceptualizes her belonging as a question of membership of a religious we-group. Her granddaughter, however, before and after emigration successfully searched a connection of the sense of belonging to her family of origin and her peer groups, first in Soviet society which was influenced by the predominantly Russian culture, and later in German society.
Schlagwörter:post-socialist country; generation; soziale Herkunft; Erwachsener; family member; Migration; Russland; kulturelle Faktoren; Federal Republic of Germany; Russia; Jugendlicher; Konstruktion; late migrant; Biographie; postsozialistisches Land; Einwanderung; transatlantische Beziehungen; social background; German; cultural factors; life career; adolescent; Generation; adult; Spätaussiedler; Familie; identity; transatlantic relations; woman; Identität; Deutscher; Peer Group; family; peer group; migration; Religion; religion; Lebenslauf; immigration; biography; UdSSR-Nachfolgestaat; construction; Familienangehöriger; USSR successor state; biographies of migration; construction of collective belonging; biographical work; former Soviet Union; Migrationsbiografien; kollektive Zugehörigkeitskonstruktionen; biografische Arbeit; ehemalige Sowjetunion
Negotiating the transnationality of social control: stories of immigrant women in South Florida
Titelübersetzung:Das Verhandeln der Transnationalität sozialer Kontrolle: Geschichten von Einwanderinnen in Südflorida
Autor/in:
Cooper, Robin; Linstroth, J. P.; Chaitin, Julia
Quelle: Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 10 (2009) 3, 23 S
Inhalt: Aus historischer Sicht waren junge Frauen Objekte sozialer Kontrolle, und dies oft im Namen töchterlicher Ehre. Dieser Artikel befasst sich mit einem bestimmten Phänomen dieser sozialen Kontrolle, wie es von Immigrantinnen der ersten und zweiten Generation aus Kuba und Haiti in Südflorida in den Vereinigten Staaten erlebt wird. Wir nähern uns dieser Thematik durch die Analyse der Lebensgeschichten von sechs Immigrantinnen dieser Länder. Die biografischen Studien dieser Immigrantinnen zeigen, wie soziale Kontrolle im Zusammenhang mit Transnationalismus durch Kontrollprozesse, Verinnerlichung von geschlechtsspezifischen Erwartungen und dominantem Diskurs operiert. Zudem wird dargelegt, wie soziale Kontrolle weiblichen Raum manipuliert und begrenzt und über Räume auf transnationale Weise von den Heimatländern zu den Gastgeberländern agiert.
Das zentrale Ergebnis der Studie ist, dass die Umsiedlung einer Familie in die Vereinigten Staaten, um politische, soziale oder ökonomische Freiheit zu erlangen, nicht zwangsläufig zur Befreiung aus der restriktiven sozialen Kontrolle der jungen Frauen aus solchen Immigrant/innenfamilien führt. Der "Transnationalismus der sozialen Kontrolle" wird daher als die hegemonische Domination von weiblichen Körpern und Verhaltensweisen durch die Mimesis von vergegenständlichten und erinnerten Räumen der Heimatländer in den Gastgebergesellschaften verstanden.
Inhalt: Historically, young women have been the object of social control, often in the name of filial honor. This article addresses a particular phenomenon of such social control as it is experienced by first- and second-generation female immigrants from Cuba and Haiti who are living in South Florida in the United States. This theme is explored by analyzing the life stories of six immigrants from these countries. The biographical stories of immigrant women reveal how social control operates in the context of transnationalism through controlling processes, internalization of gender expectations, and dominating discourse. It is also argued how social control manipulates and restricts female spaces and operates across spaces in a transnational manner from homelands to host nations. The main conclusion of the study is that a family's relocation to the United States for the purpose of political, social, or economic freedom does not necessarily result in liberation from restrictive social control for young women from such immigrant families. The "transnationality of social control" is therefore understood as the hegemonic domination of female bodies and behaviors through the mimesis of reified and remembered spaces of homelands in host societies.
Schlagwörter:Latin America; North America; first generation; erste Generation; Kuba; transnationale Beziehungen; Tochter; Biographie; Central America; Nordamerika; honor; Einwanderung; United States of America; gender; life career; migrant; Haiti; Weiblichkeit; Ehre; femininity; USA; daughter; oppression; woman; Entwicklungsland; Cuba; migration; Caribbean Region; soziale Kontrolle; Lateinamerika; transnational relations; Migration; Unterdrückung; Diskurs; discourse; Migrant; second generation; Haiti; Karibischer Raum; Familie; social control; Mittelamerika; family; Zuwanderung; Lebenslauf; biography; immigration; developing country; zweite Generation; social control; transnational; dominating discourse; controlling processes; women immigrants; honor and shame; transnational; dominanter Diskurs; Kontrollprozesse; Einwanderinnen; Ehre und Schande
Kulturelles Kapital in der Migration : ein Mehrebenenansatz zur empirisch-rekonstruktiven Analyse der Arbeitsmarkintegration hochqualifizierter MigrantInnen
Titelübersetzung:Cultural capital during migration : a multi-level approach to the empirical analysis of labor market integration amongst highly skilled migrants
Quelle: Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, Vol. 7 (2006) No. 3, 19 S.
Inhalt: "Die Arbeitsmarktintegration von hochqualifizierten MigrantInnen kann zur Chance für Wissensgesellschaften werden, deren Prosperität vom Aufbau kulturellen Kapitals abhängt. In diesem Beitrag wird ein qualitativer Forschungsansatz vorgestellt, mit dem auf mehreren Ebenen untersucht werden soll, wie MigrantInnen ihr kulturelles Kapital in der Statuspassage in den Arbeitsmarkt verwerten: Neben der Mikroebene der individuellen biographischen Erfahrung von MigrantInnen findet deren Einbindung in Milieus, soziale Netzwerke und Selbstorganisationen (Mesoebene) ebenso Berücksichtigung wie die Makroebene der rechtlichen Regulierungen im Rahmen der Einwanderungs- und Arbeitsmarktpolitik. Dem Zusammenhang von Bildungs- und Aufenthaltstiteln beim Übergang in den Arbeitsmarkt gilt in der empirischen Analyse ein besonderes Augenmerk. Daher werden vier Fallgruppen, die systematisch hinsichtlich der Höhe und des Erwerbs ihres Bildungstitels im In- oder Ausland und bzgl. der Gleich- bzw. Nachrangigkeit ihres Aufenthaltstitels variieren, miteinander verglichen. Um zudem die Kontingenz der meso- und makrosozialen Kontexte der Statuspassagen in den Arbeitsmarkt zu erfassen, wird die Arbeitsmarktintegration in Deutschland mit derjenigen in Kanada, Großbritannien und der Türkei verglichen." (Autorenreferat)
Inhalt: "The integration of highly qualified migrants into the labour market can be an opportunity for knowledge societies because their prosperity depends on the incorporation and improvement of cultural capital. In this paper we present a qualitative research approach with which we analyze on several levels how migrants make use of their cultural capital during their entry into the labour market: in addition to the biographical experience of migrants we analyze how this experience is embedded in milieus, social networks and self-organizations (meso-level) and structured by the macro-level of judicial regulations of immigration and labour market policies. Our empirical analysis is focused by the assumed importance of educational qualification and residence status during entry into the labour market. Four different groups of empirical cases, which differ with respect to the level of education, the place of its acquisition (at home or abroad) as well as to their residence status, are compared to each other. In order to study the contingencies of meso and macro-social contexts, labour-market integration will be examined in the context of Germany as well as in Canada, Great Britain and Turkey." (author's abstract)
Migration Experiences and Changes of Identity. The Analysis of a Narrative
Titelübersetzung:Migrationserfahrungen und Identitätsveränderungen. Die Analyse einer Erzählung
Autor/in:
Kazmierska, Kaja
Quelle: Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 4 (2003) 3, 13 S
Inhalt: Dieser Artikel basiert auf der Analyse eines autobiographisch-narrativen Interviews mit einer Türkin, die in Deutschland lebt. Ich analysiere den Prozess von Identitätsveränderungen, der von den Migrationserfahrungen der Erzählerin geprägt ist. Er hat mindestens zwei Aspekte: Der eine Aspekt betrifft die kulturellen Wurzeln der Erzählerin. Neue Erfahrungen haben ihr Selbstbild als Frau verändert. Ein zweiter Aspekt bezieht sich auf den Lebensablauf der Erzählerin. Die Erzählung zeigt, wie aus einem naiven Mädchen eine erwachsene und unabhängige Frau geworden ist. Frau zu sein wird mithilfe von Kategorien definiert, die zur westlichen Kultur gehören. Der Migrationsprozess ist daher mit dem Verlust kulturell geprägter Formen der Identitätsbeschreibung der Erzählerin verbunden. In der Folge wird sie eine Fremde in ihrem Heimatland, aber sie bleibt auch eine Fremde in dem Land, in das sie gezogen war. Ich analysiere, wie die Erzählerin an diesem Problem arbeitet.
Inhalt: This paper is based on the analysis of an autobiographical narrative interview with a Turkish woman living in Germany. I analyze the process of identity changes influenced by the narrator's migration experiences. It has at least two aspects. One aspect refers to the cultural roots of the narrator. New experiences have changed her self-image of being a woman. A second aspect is connected with the narrator's life course. The narrative shows how a naive girl has become an adult and independent woman. Being a woman is defined with the help of categories belonging to Western culture. Therefore, the process of migration is related to losing culturally influenced ways of describing the narrator's identity. As a result, she becomes a stranger in her homeland, but she also remains a stranger in the country to which she migrated. I analyze the narrator's work on this problem.