„In welcher Gesellschaft wollen wir leben?“ – So lautet das Schwerpunktthema des Deutschland-Monitors 2024. Welche Werthaltungen werden in unserer Gesellschaft geteilt? Werden die verfassungsmäßig verbrieften Grundrechte, die Vorstellungen über das soziale Miteinander und die Ausgestaltung der Demokratie von einem breiten Konsens getragen? Lassen sich gegenläufige Einschätzungen allein mit individuellen Merkmalen der Befragten erklären oder können sie auch auf unterschiedliche regionale Lebensumfelder („Kontexte“) zurückgeführt werden? Diese und weitere Fragen verknüpfen das diesjährige Schwerpunktthema mit dem auf lange Sicht angelegten Basis-Fragenkanon des Deutschland-Monitors.
Die Antworten der Befragten zeigen:
In Deutschland gibt es eine breite gemeinsame Wertebasis. Die übergroße Mehrheit der Bevölkerung in Ost- und Westdeutschland möchte in einer Gesellschaft leben, in der freiheitlich-demokratische Grundrechte und Grundwerte gewährleistet sind. Weniger Einigkeit besteht darüber, ob einzelne Freiheitsrechte, wie etwa die Presse- und Meinungsfreiheit, auch tatsächlich umgesetzt werden. Wer die Freiheitsrechte als nicht erfüllt ansieht, ist oft auch weniger zufrieden mit dem Zustand der Demokratie und hat geringeres Vertrauen in politische Institutionen.
Ebenfalls ein breiter Konsens besteht über die Demokratie als Staatsform. 98 Prozent sprechen sich dafür aus. Ebenso wird das Grundgesetz als Verfassungsordnung von einer sehr großen Mehrheit (80 Prozent) unterstützt. Größere Uneinigkeit besteht hingegen beim gegenwärtigen Funktionieren der Demokratie: Während sich 64 Prozent der Westdeutschen zufrieden zeigen, sind es bei den Ostdeutschen nur 48 Prozent, die mit dem aktuellen Funktionieren der Demokratie zufrieden sind.
Politikkritische Einstellungsmuster sind in strukturschwachen Regionen weiter verbreitet als in strukturell stärkeren Regionen der Republik. „Wo Menschen das Gefühl haben, nicht den gerechten Anteil zu bekommen oder Angst haben, ihren Status einzubüßen, schwindet auch die Unterstützung des politischen Systems und seiner Akteure. Dies drückt sich etwa in Form einer geringen Demokratiezufriedenheit, eines schwachen Institutionenvertrauens und populistischen Einstellungen aus“, so Jörg Hebenstreit, Politikwissenschaftler an der Universität Jena.
In beiden Teilen Deutschlands bestehen hohe Erwartungen an den Wohlfahrtsstaat. Rund drei Viertel aller Befragten äußern die Erwartung, dass der Staat für wesentliche Lebensrisiken eintritt. Dabei haben sich die Einstellungen im Westen an den Osten so weit angepasst, sodass die vormalige Ost-West-Differenz inzwischen ausgeglichen ist.
In Deutschland insgesamt fehlt es aktuell an einem „Wir-Gefühl“: Lediglich etwa ein Drittel der Befragten hat Vertrauen in andere Menschen. Nur ein Viertel der Befragten glaubt, dass sich die Mitmenschen gegenseitig unterstützen. Nicht einmal jede bzw. jeder Achte bewertet den gesellschaftlichen Zusammenhalt positiv. Die schlechte gesamtgesellschaftliche Bewertung steht im deutlichen Kontrast zur Bewertung des gesellschaftlichen Zusammenhalts am Wohnort, der deutlich positiver benotet wird. Diese positive Erfahrung des lokalen Lebensumfelds bietet, so der Politikwissenschaftler Everhard Holtmann vom Zentrum für Sozialforschung in Halle, eine wichtige Ressource für das gesamte Gemeinwesen.
Bei umstrittenen Themen – etwa Klimaschutz und Migration – sind ablehnende Haltungen in Ostdeutschland häufiger verbreitet als in Westdeutschland. Ost-West-Unterschiede finden sich aber vorwiegend bei älteren Personen, die in der ehemaligen DDR bzw. alten Bundesrepublik geboren und sozialisiert wurden. Hingegen teilen jüngere Menschen, die im wiedervereinigten Deutschland aufgewachsen sind, in Ost wie West mehrheitlich die gleichen Gesellschaftsbilder. Dies, wie auch der Befund, dass in strukturstarken Ost- und strukturschwachen Westkreisen die Einstellungen nahe beieinander liegen, stützt nach Ansicht von Reinhard Pollak, Soziologe am GESIS Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften Mannheim, die These des Deutschland-Monitors, dass die Annahme einer generellen Ost-West-Differenz nicht mehr der Realität entspricht.