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Arbeitsstättenzählungen und Berufszählungen im Vergleich

Folgende Erläuterungen wurden entnommen aus:
Reinhard Stockmann, 1984: Eine organisationsstrukturelle Analyse zur Entwicklung der geschlechtsspezifischen Beschäftigungsstruktur. Mannheim: VASMA-Arbeitspapier Nr. 41, Seite +1-+4/Anhang

Prinzipiell bestehen zwei Möglichkeiten das Beschäftigungspotential zu erfassen. Zum einen über ein Erwerbspersonenkonzept, indem die einzelnen Personen nach der Art ihrer Erwerbstätigkeit befragt werden; zum anderen über ein Erwerbstätigenkonzept, nach dem die Beschäftigten vom Betrieb her erfasst werden. Ersterem Konzept folgt die Berufszählung, letzterem die Betriebs- oder Arbeitsstättenzählung.

Beide Methoden können aus folgenden Gründen zu verschiedenen Ergebnissen führen:

a) In den Betriebszählungen wird mit der Erfassung von Haupt- und Nebenerwerbsbetrieben ein vollständigeres Bild der Beschäftigtenstruktur gezeichnet als es das Haupterwerbspersonenkonzept der Berufszählungen zu liefern vermag. Allerdings sind in den Betriebszählungen Doppelzählungen möglich, da ein und dieselbe Person in mehreren Betrieben arbeiten kann. Am häufigsten ist damit in Wirtschaftsbereichen zu rechnen, in denen Familienbetriebe vorherrschend sind und in größerem Umfang Teilzeitbeschäftigte oder Aushilfskräfte tätig sind. (Vgl. Hoffmann 1965: 180) Da aber anzunehmen ist, dass die Zahl der Doppelzählungen relativ gering ist und anteilsmäßig in gleichem Umfang immer wieder auftritt, werden insbesondere langfristige Betrachtungen dadurch nicht beeinträchtigt (vgl. ebenda: 182).

b) In den Berufszählungen werden die Personen nach ihrem Beruf befragt. Da dabei nicht geklärt wird, ob sie zum Zeitpunkt der Zählung tatsächlich erwerbstätig sind, kann das Ausmaß der Beschäftigung nicht genau festgestellt werden. (vgl. Hoffmann 1965: 180). Insbesondere in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit kommt es bei den zumeist parallel durchgeführten Zählungen zu deutlichen Abweichungen.
(...)

c) Der vielleicht wesentlichste Unterschied zwischen Betriebs- und Berufszählung liegt in der Zuordnung der einzelnen Personen zu den verschiedenen Beschäftigungsbereichen (vgl. Hoffmann 1965: 180). So wird z.B. ein Modelltischler, der in der Metallindustrie beschäftigt ist, in den Betriebszählungen der Metallindustrie zugeordnet, während er in der Berufszählung unter den holzverarbeitenden Berufen geführt würde.
Hinzu kommt, dass eine Einordnung der Beschäftigten nach dem Betriebsschwerpunkt durch den Betriebsleiter in der Regel zu einem genaueren Ergebnis führen dürfte als eine Einordnung durch den Befragten. Auch ist möglicherweise die Tendenz, Antworten an sozialen Normen und Bewertungen auszurichten, bei den Berufszählungen höher zu veranschlagen. Während der Betriebsleiter bspw. anhand einer Lohn- und Gehaltsliste leicht die Anzahl der Beschäftigten in bestimmten betrieblichen Stellungen ablesen kann, ist die individuell vorgenommene Einstufung durch den Befragten in den Berufszählungen von Antwortverzerrungen nicht gefeit, da er sich möglicherweise einen höheren Status zuerkennt.

Zu besonders gravierenden Abweichungen zwischen Berufs- und Betriebszählungen kommt es nach Hoffmann (1965: 181) vor allem bei den Kaufmännischen Angestellten, "die in den Statistiken der Gewerbezählungen den einzelnen Wirtschaftsgruppen zugeordnet werden, nicht jedoch in den Ergebnissen der Berufszählung". Für Hoffmann ist dies der wichtigste Grund, wo immer es möglich ist, von den Ergebnissen der Gewerbezählungen auszugehen.
Inwieweit die Selbsteingruppierung durch Berufsangabe bei den Berufszählungen zu abweichenden Ergebnissen gegenüber der Betriebseingruppierung führt, macht schon Pierstorff (1911) anhand der Zählungen 1895 und 1907 deutlich. Einige Beispiele mögen dies, wenn auch nur annähernd verdeutlichen:

BrancheZählungsjahrBerufszählungBetriebszählungDiff. in %
Bekleidungsgewerbe1907721445(50,7%)619599(47,5%)-3,2
1895588687(44,5%)514351(42,0%)-2,5
Metallverarbeitung190773039(6,2%)83182(8,9%)+2,7
189536210(4,2%)44038(6,9%)+2,7
Lederindustrie190720781(9,4%)25372(12,3%)+2,9
189510023(5,9%)11594(7,2%)+1,3
Handelsgewerbe1907545200(31,3%)791855(38,4%)+7,1
1895299800(24,9%)401000(30,1%)+5,2
Gast- und Schankwirtschaft1907339600(52,1%)488400(60,8%)+8,7
1895261450(53,1%)350750(60,5%)+7,4

Aus diesen Ausführungen kann der Schluss gezogen werden, dass das Erhebungskonzept der Betriebszählungen die genaueren und objektiveren Ergebnisse zur Deskription der Beschäftigtenstruktur liefert und deshalb, wenn irgend möglich, den Berufszählungen vorzuziehen ist (vgl. Hoffmann 1965: 182).

Doch diese Aussage muss im Hinblick auf den unterschiedlichen Erfassungsbereich der beiden Zählungen relativiert werden. Die größte Einschränkung resultiert daraus, dass in den Betriebszählungen der Bereich der Landwirtschaft ausgespart bleibt. Außerdem ist in den frühen Zählungsjahren der gesamte Dienstleistungssektor, einschließlich des Staatsapparates, stark untererfasst. Hier kann nur mit den Berufszählungen ein Gesamtüberblick erzielt werden.

Die beiden wichtigsten Zusatzinformationen, die die Betriebszählungen jedoch den Berufszählungen voraus haben, sind vor allem in der Trennung der Kaufmännischen und Technischen Angestellten zu sehen, sowie in der organisationellen Information. Die Unterordnung der Beschäftigten in Betriebseinheiten wird durch die Angabe von Betriebsgrößenklassen möglich. Die Trennung von Kaufmännischen und Technischen Angestellten, die in den Berufszählungen zu einer Gruppe zusammengefasst sind, vermag die beiden in der wirtschaftlichen Entwicklung zentralen Faktoren, nämlich Bürokratisierung und Technisierung wenigstens annäherungsweise zu indizieren.

Welche Datenquelle nun für die durchzuführenden Analysen gewählt wird, hängt letztlich von der angestrebten Zielrichtung ab. (...)