Frauen sind zu selbstkritisch


Kategorien: Arbeitswelt und Arbeitsmarkt; Geschlechterverhältnisse; Gleichstellungspolitik; Karriereentwicklung; Wissenschaft Aktuell

Frauen bewerten sich im Berufsleben zu kritisch – das bestätigt eine Studie der Internationalen Hochschule Bad Honnef · Bonn (IUBH), die branchenübergreifend die Kompetenzen von mehr als 1.000 Mitarbeitern in verschiedenen Funktionen untersucht hat. Die Ergebnisse zeigen: Frauen bewerten ihre Stärken selbst weit niedriger als ihr direktes Umfeld diese einschätzt. Die Studie bestätigt damit den seit Langem kritisierten Gender-Gap in Bezug auf die Selbsteinschätzung beruflicher Leistungen von Frauen.

Die Daten wurden unter Nutzung der durch die IUBH entwickelten Kompetenzanalysesoftware Delveo erfasst. Sie zeigen, dass grundsätzlich sowohl Männer als auch Frauen bei der Einschätzung ihrer beruflichen Kompetenzen zur Selbstkritik neigen – bei Frauen ist diese Neigung aber deutlich höher. Sie stufen sich insbesondere in Bereichen, die extrovertiertes und strategisches Verhalten erfordern – z.B. in den Kompetenzen Verhandlungsgeschick, Verkauf/Abschlusstechnik oder Gesprächsführung – selbstkritischer ein als ihre männlichen Kollegen. Männliche Teilnehmer neigen dagegen in kommunikativen Bereichen wie Einfühlungsvermögen oder Kunden- und Dienstleistungsorientierung zur leichten Selbstüberschätzung.

Die Selbstkritik der Teilnehmenden scheint unbegründet: Insbesondere Frauen werden von ihrem direkten Umfeld, zum Beispiel von Kollegen und Vorgesetzten, positiv wahrgenommen – die Differenz zwischen Selbst- und Fremdeinschätzung ist bei ihnen um rund ein Drittel höher als bei Männern. Auch ihre tatsächlichen Kompetenzen wurden in der Studie deutlich höher gemessen, als sie diese selbst einschätzten.

Frauen können sich durch unbegründete Selbstkritik auf ihrem Karriereweg im Weg stehen, meint Prof. Dr. Kurt Jeschke, Prorektor der IUBH Corporate Programmes. „Weil sie ihre Kompetenzen selbst eher niedrig einstufen, halten sie sich bei Gehaltsverhandlungen oder bei der Bewerbung um Führungspositionen stärker zurück als ihre männlichen Kollegen.“ Die möglichen Folgen des Gender-Gaps belegen weitere Zahlen: Frauen verdienen nachweislich weniger bei formal gleicher Qualifikation und Tätigkeit (Statistisches Bundesamt, 2014) und besetzen nur zu knapp 15% Führungspositionen in deutschen Unternehmen ab 1.000 Mitarbeitern (Statista, 2015).

Den Gender-Gap zu überwinden hilft nicht nur weiblichen Mitarbeitern, sondern auch den Unternehmen selbst, so Jeschke: „Unternehmen, die die Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Mitarbeitern minimieren, folgen nicht nur den ethischen Standards der Chancengleichheit, sondern haben auch Vorteile im Wettbewerb um talentierte Fachkräfte. Eine entsprechende Personalpolitik steigert die Attraktivität der Arbeitgebermarke und verbessert die Chancen, talentierte Fachkräfte zu rekrutieren“. Er nennt daher drei Handlungsempfehlungen für Personalverantwortliche, mit denen man dem unternehmenseigenen Gender-Gap begegnen kann:

  • Lassen Sie regelmäßig die Kompetenzprofile durch Vorgesetzte und Mitarbeiter erfassen, bewerten und diskutieren.
  • Identifizieren Sie die Unterschiede zwischen Selbstwahrnehmung, Fremdwahrnehmung und tatsächlichen Kompetenzen. Damit können Mitarbeiter zielgerichtet gefördert und weiterentwickelt werden.
  • Entwickeln Sie individuelle Maßnahmen zur Personalentwicklung vor allem für weibliche Mitarbeiter, die insbesondere die Selbsteinschätzung und Umsetzung der Leistungsfähigkeiten im betrieblichen Umfeld ermöglichen.

Infografik

Checkliste Delveo-Studie

Quelle und weitere Informationen:

PM-IUBH, 27.07.2016