Inhalt: Die Persistenz der Homogenität oberster Führungskräfte ist rätselhaft. Seit vielen Jahren gibt es Maßnahmen und Instrumente für mehr Vielfalt im (Top)Management, aber 95,6 Prozent der Vorstandspositionen der Top200Unternehmen in Deutschland sind nach wie vor von Männern besetzt (Holst/Kirsch 2014). Warum ist die (Geschlechter)Homogenität trotz aller Bemühungen so persistent? Welche Beharrungskräfte wirken in Organisationen, die den Status Quo des Topmanagements immer wieder stabilisieren? Argument der Dissertation ist, dass Organisationen in der Auswahl oberster Führungskräfte pfadabhängig sind: Während beim Eintritt in die Organisation weibliche und männliche Fachkräfte noch gleichermaßen vertreten sind, wird für das Topmanagement der immer gleiche Typus Mann kooptiert.
Mit der Theorie der organisationalen Pfadabhängigkeit (Sydow et al. 2009) als Rahmen, zeichnet die Einzelfallstudie in einem internationalen Dienstleistungsunternehmen („FIRM“) die formalen und informellen Prozesse der Führungskräfteauswahl nach. Die Pfadtheorie zielt darauf ab, gesellschaftliche und organisationale Beharrungskräfte zu erklären, z.B. warum Veränderungsprozesse in Organisationen scheitern und damit keine Anpassung an veränderte Umweltbedingungen erfolgt. Zentral in der Pfadforschung ist die Einnahme einer Prozessperspektive. In der Dissertation wird damit aufgezeigt, welche Muster sich in der Personalauswahl implizit herausbilden und wer in diesem „demographic metabolism“ (Boone et al. 2004) einer Organisation aufsteigt. Insbesondere die Spezifik des Topmanagements wird dabei in den Blick genommen: Warum ist es funktional und attraktiv, nach Ähnlichkeit und Passfähigkeit auszuwählen? Welche unbewusste Dynamik entwickelt sich, die es zunehmend attraktiv macht, nach einem bestimmten Muster zu handeln? Selbstverstärkenden Prozessen kommt dabei eine zentrale Rolle zu, um die sich zuspitzende Dynamik zu erklären, die schließlich in ein LockIn führt.
Die umfangreiche Datenbasis wurde aus einer Mischung qualitativer und quantitativer Methoden generiert. Neben Beobachtungen von Leitungssitzungen, über 30 semistrukturierten Interviews mit Vorstandsmitgliedern, oberen Führungskräften und Personalverantwortlichen, wurden eine soziale Netzwerkanalyse mit einer Führungskräfteeinheit durchgeführt sowie Personalstatistiken und Dokumente zur Personalbeurteilung analysiert. Mit einer Systemanalyse (Froschauer/Lueger 2003) wurde der Frage nachgegangen, warum es gerade im Topmanagement zu solch einer Persistenz kommt.
Die Daten zeigen, dass für den Aufstieg im Unternehmen ein linearer Karriereweg ohne größere Unterbrechungen formal vorausgesetzt wird (vgl. auch Rudolph 2007). Dies führt bereits auf der Ebene des mittleren Managements zu einer Selbstselektion derjenigen Personen, die sich nicht vollkommen in den Dienst der Organisation stellen (überproportional Frauen mit CareVerpflichtungen). Zudem nehmen die informellen Spielräume der Personalauswahl mit Höhe der Hierarchieebene zu. Die Besetzung oberster Leitungspositionen bei FIRM erfolgt gänzlich informell (vgl. auch Schlamelcher 2011, Nickel 2009). In diesen Spielräumen bildet sich ein implizites Selektionsmuster heraus, welches stark vergeschlechtlicht ist (durchsetzungsfähig, dauerverfügbar, geordnete Verhältnisse im Privatleben, u.a.). Zentral ist, dass neue Personen passfähig zum bereits existierenden Kreis der oberen Führungskräfte sein müssen, wodurch sich das Topmanagement selbst dupliziert.
Wie kommt es jedoch zu dieser Musterkohärenz, obwohl die Auswahlprozesse nicht standardisiert sind? Die Netzwerkanalyse macht die Wirkung der überaus starken Gruppenkohäsion im Topmanagement deutlich: Bei einer 75 prozentigen Netzwerkdichte und einer hohen Anzahl multiplexer Beziehungen zwischen oberen Führungskräften verbreitet und homogenisiert sich ein implizites Muster quasi von selbst. Die Netzwerkanalyse zeigt vor allem auch die hohe Bedeutung informeller Beziehungen im Vergleich zu formalen (Dichte 0.7>0.29). Diese sehr dichten, informellen Netzwerke ermöglichen einen Einblick in das Privatleben einer Person (Hobbies, Familiensituation, etc.). So können in Form eines „background checks“ auch die informellen Anforderungen an eine Person überprüft werden.
Was treibt nun diesen Homogenisierungsprozess an? Inwiefern handelt es sich um einen selbstverstärkenden Prozess? Aufgrund der hohen Einbindung der Führungskräfte (Hyperinklusion), bei der es keine konkurrierenden Verpflichtungen außerhalb des Unternehmens gibt, und ihrer hohen Passfähigkeit entsteht eine außerordentlich hohe Koordination untereinander. Krells Konzept der Vergemeinschaftung (1994) diente als Anknüpfungspunkt, um den Aspekt der Koordination genauer herauszuarbeiten. Bereits in ihrer Analyse verschiedener personalpolitischer Konzepte wurde deutlich, dass Homogenität ein konstitutives Element der Gemeinschaftsbildung und der Schaffung von Koordination ist. Die Analyse bei FIRM macht deutlich, dass sich mit zunehmender Homogenität ein immer größerer Nutzen daraus für die Organisation und für die Führungskräfte ergibt. Beispielsweise wird durch Hyperinklusion und die Ähnlichkeit untereinander das Verhalten der Führungskräfte maximal erwartbar und reibungslos. Schließlich entwickelt sich durch steigende Koordinationsgewinne ein sich selbstverstärkender Prozess, der die Personalselektion verselbständigt.
Obwohl es zunächst zwar vorteilhaft für die Organisation ist, nach dem immer gleichen Muster auszuwählen, kippt die Dynamik jedoch in eine Dysfunktionalität. Die Führungskräfte verlieren die Kontrolle und Steuerungsfähigkeit über ihre Organisation, was sich z.B. in scheiternden Veränderungsversuchen zeigt. Die Organisation wird dadurch unfähig, auf soziale und demographische Veränderungen zu reagieren und schafft es entgegen ihres Ziels nicht, Frauen verstärkt ins Topmanagement aufzunehmen.
Mit der Studie wird deutlich, dass Gender und Diversity Maßnahmen oftmals scheitern, weil die systemischen Kräfte in Organisationen nicht berücksichtigt werden (z.B. Nutzen der Homogenität für Stabilität und Unsicherheitsabsorption). Darüber hinaus lässt sich ableiten, dass der Homogenitätspfad nicht von innen heraus gebrochen werden kann. Anders gesagt: Soll der Frauenanteil in Organisationen deutlich erhöht werden, braucht es eine Art externen Schock, der die selbstverstärkende Dynamik nachhaltig irritiert. Die Frauenquote verspricht, solch einen externen Schock auszulösen.
Schlagwörter:Führungskraft; Geschlechterverhältnis; Management; Organisation; Organisationsanalyse; Organisationskultur; Rekrutierung; Segregation; Selektion; Unterrepräsentanz; Wirtschaft
CEWS Kategorie:Arbeitswelt und Arbeitsmarkt, Geschlechterverhältnis
Dokumenttyp:Monographie