Inhalt: Im Folgenden geht es weniger um Pakistan als um Komplexitäten des Feminismus in postkolonialen Zeiten. Meine Erfahrungen vor Ort und die Diskussionen mit Farzana Bari erscheinen mir in diesem Zusammenhang aber wichtig; denn sie haben meine intersektionalen und postkolonialen Überzeugungen herausgefordert und die folgenden Überlegungen inspiriert. Seit Jahren gehe ich davon aus, dass der intersektionale Feminismus aus analytischen und aus politischen Gründen nicht-intersektionalen feministischen Positionen vorzuziehen ist. Denn letztere reflektieren häufig in erster Linie die Interessen und Prioritäten jener Frauen, denen in Bezug auf Merkmale wie »Rasse« und Ethnizität, Religion, Klasse oder Sexualität ein vergleichsweise privilegierter Status zukommt. Farzana Bari ist anderer Ansicht. Für sie, die lokal handelt, aber global denkt, stellt sich der intersektionale Feminismus praktisch als Entsolidarisierung dar, und zwar als Entsolidarisierung in einem Kampf, in dem vergleichsweise privilegierte Frauen ihre Privilegien just zu dem Zweck einsetzen, weniger privilegierte Frauen bei der Realisierung basaler Rechte zu unterstützen und damit zugleich in die öffentliche Verhandlung von Geschlechterverhältnissen zu intervenieren. Bari ist Aktivistin und verfolgt das Ziel, gravierende geschlechterpolitische Missstände zu bekämpfen. Dies erfordert mehr als eine kritische Analyse dieser Missstände. Und es erfordert vermutlich auch mehr als eine kritische Analyse der eigenen Privilegien.
Aber was genau ist es, das es erfordert, insbesondere seitens potentieller Verbündeter im Westen? Wie kann und sollte eine internationale und kontextübergreifende feministische Solidarität aussehen, die Baris Bedenken ernst nimmt, ohne dabei zentrale intersektionale und postkoloniale Einsichten aufzugeben? Dies sind die Fragen, die ich im Folgenden zu beantworten suche. Zu diesem Zweck gehe ich in fünf Schritten vor. Zunächst erinnere ich an die Idee des globalen Feminismus sowie an die postkoloniale Kritik an diesem Konzept. Zweitens gehe ich auf das ein, was Farzana Bari als Effekt des Intersektionalitätsdiskurses beschreibt, nämlich eine Tendenz des gegenwärtigen kritischen feministischen Aktivismus im Westen, sich von transnationalem Engagement zurückzuhalten; diese Tendenz bezeichne ich als feministischen Provinzialismus. Drittens stehen Positionen der kritischen feministischen Theorie und Wissenschaft im Mittelpunkt, die der erwähnten Zurückhaltung entsprechen, und ich argumentiere, warum ich sie für nicht ausreichend intersektional halte, sondern eher als eine Form der Semi-Intersektionalität verstehe. Viertens geht es um weibliche Figuren des gegenwärtigen Orientalismus, die im Hintergrund der globalen Geschlechterpolitik eine Rolle spielen; dabei soll deutlich werden, dass auch die Zuschreibung von Handlungsfähigkeit keinesfalls vor Vereinnahmung und Instrumentalisierung schützt. Dem folgt fünftens ein kurzes Fazit, in dem ich Möglichkeiten umreiße, die sowohl bezogen auf die eher forschungsbezogenen Aspekte der transnationalen feministischen Solidarität als auch mit Blick auf feministischen Aktivismus Auswege aus den zuvor skizzierten Problemen versprechen könnten
Schlagwörter:feminism; Feminismus; Geschlechterforschung; Intersektionalität; (post-)coloniality; Solidarität; transnational
CEWS Kategorie:Diversity, Frauen- und Geschlechterforschung
Dokumenttyp:Zeitschriftenaufsatz