Zwischen "Exzellenz" und Existenz : Wissenschaftskarriere, Arbeits- und Geschlechterarrangements in Deutschland und Österreich
Autor/in:
Binner, Kristina; Weber, Lena
Quelle: GENDER (GENDER – Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft), 11 (2019) 1-2019, S 31–46
Inhalt: In der Gesellschaft wie auch in der Wissenschaft haben einige Veränderungen in Richtung Geschlechtergleichstellung stattgefunden. In den letzten Jahren werden wissenschaftliche Karrieren in Deutschland und Österreich jedoch nach ‚Exzellenzkriterien‘ und dem Leitbild der ‚unternehmerischen Hochschule‘ reorganisiert und Karrierepfade prekarisiert. Dieser Beitrag untersucht länderübergreifend, ob sich dadurch Geschlechterarrangements erneut ungleich gestalten. Dazu wird mit der Perspektive der alltäglichen und biografischen Arbeitsarrangements der Zusammenhang zwischen wissenschaftlichen Karrieren und Geschlecht analysiert. Im Fokus stehen die subjektiven Wahrnehmungen von Alltagsorganisation und biografischen Entscheidungen von NachwuchswissenschaftlerInnen, die in zwei qualitativen Interviewstudien befragt wurden. Es wird auf der Subjektebene gezeigt, wie in Zeiten ‚exzellenter‘ Spitzenforschung Geschlechterungleichheiten in Alltag und Biografie erzeugt werden.
Queering and diversifying gender in equality work at European higher education institutions
Autor/in:
Mense, Lisa; Sera, Stephanie; Vader, Sarah
Quelle: GENDER (GENDER – Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft), 11 (2019) 1-2019, S 78–91
Inhalt: In den letzten Jahren hat die zunehmende Anerkennung von Forderungen und Bedürfnissen der LGBTIQ* Communities zu Änderungen im EU-Recht beigetragen. Vor diesem Hintergrund plädieren die Autor*innen für ein queeres und damit vielfältiges Verständnis von Gender in den Gleichstellungsdiskursen an Hochschulen. Anhand der Fallbeispiele Deutschland und den Niederlanden werden rechtliche und diskursive Bedingungen sowie die Motivationen, Herausforderungen und Chancen der Akteur*innen im jeweiligen Hochschulsystem aus einer queeren Perspektive betrachtet. Die Beispiele zeigen, wie unterschiedlich die Umsetzung von EU-Richtlinien in nationales Recht erfolgt ist. Sie machen ebenfalls deutlich, dass Veränderungen in den Hochschulen derzeit von hoch motivierten Akteur*innen wie Studierenden, Gleichstellungs- und Diversity-Beauftragten oder einzelnen Einrichtungen angestoßen werden. Als aufeinander aufbauende, analytische Konzepte können „queering“ und „diversifying“ dazu beitragen, heteronormative Vorannahmen und diskriminierende Prozesse im gleichstellungspolitischen Kontext an Hochschulen zu erkennen. Sie erlauben ferner die Entwicklung von Strategien, die die Komplexität von Geschlechteridentitäten und Diskriminierungen berücksichtigen.
Against the background of recent changes to EU legislation to meet the demands and needs of LGBTIQ* communities, the authors seek to situate a queered and diversified understanding of gender firmly at the centre of the gender equality discourse in higher education (HE). Based on case examples, the legal and discursive status quo in German and Dutch HE institutions as well as actors’ motivations, challenges and opportunities are examined through a queer lens. The results highlight how differently EU legislation is transposed into national law. They also show that change is currently driven by highly motivated individual actors, be they students, gender equality and diversity officers, or individual institutions. We argue that queering and diversifying should be understood and used as modes to reflect on and analyse the processes that lead to heteronormative understandings of gender in HE and to develop strategies that take the complexities of gendered identities and discrimination into account.
Verwandtschaftsverhältnisse – Geschlechterverhältnisse im 21. Jahrhundert
Autor/in:
Zimmermann, Okka
Quelle: GENDER (GENDER – Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft), 11 (2019) 2-2019, S 121–137
Inhalt: In der Geschlechterforschung wird angeregt über den Zusammenhang von Feminismus, Neoliberalismus, demografischer Wende in der Familienpolitik und der sich verändernden Rolle von Müttern debattiert. Dieser Beitrag zielt darauf ab, die Art und das Ausmaß der Rezeption öffentlicher Diskurse um Vereinbarkeit herauszuarbeiten. Hiernach werden insbesondere hochqualifizierte Frauen durch wirkmächtige Leitbilder darauf verpflichtet, Karriere und Mutterschaft selbstständig zu vereinbaren, während die Kritik am asymmetrischen Geschlechterverhältnis weitgehend verstummt. In diesem Beitrag wird auf der empirischen Basis qualitativer Interviews analysiert, ob und wie sich der ‚kritische‘ oder ‚neoliberale‘ Vereinbarkeitsdiskurs in der Alltagskommunikation und in Vereinbarkeitsstrategien berufstätiger Mütter niederschlägt. Als zentrales Ergebnis ist festzustellen, dass diese sich weitgehend als ‚Familienmanagerinnen‘ sehen, die durch gute Planung, Struktur und Organisation Vereinbarkeit selbst herstellen. Der neoliberale mediale Vereinbarkeitsdiskurs wurde von ihnen damit weitestgehend übernommen und in Vereinbarkeitsstrategien umgesetzt, die durch individuelle Lösungen gekennzeichnet sind.
Quelle: GENDER (GENDER – Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft), 11 (2019) 3-2019, S 100–115
Inhalt: Im Zuge der Reformen des Hochschulwesens gewinnt die Förderung von wissenschaftsbasierten Gründungen an Bedeutung. Erste Erhebungen zur Schweiz zeigen jedoch, dass Akademikerinnen deutlich seltener ausgründen als Akademiker. Das als „Leaky Pipeline“ bezeichnete Phänomen ist auch im Bereich von Gründungsaktivitäten an Schweizer Fachhochschulen deutlich erkennbar. Anschließend an Perspektiven der Gender- und Hochschulforschung beleuchtet der Beitrag zentrale Voraussetzungen für Gründungsaktivitäten von Frauen an Schweizer Fachhochschulen. Empirische Grundlage bilden eine schriftliche Umfrage aus den Jahren 2017/18 an öffentlich-rechtlichen Fachhochschulen der Schweiz sowie Interviews mit Gleichstellungsbeauftragten und Gründungszentren dieser Hochschulen. Die Ergebnisse zeigen nicht nur, dass Wissenschaftlerinnen kaum als Zielgruppen der Gründungsförderung an Fachhochschulen erkannt werden, sondern dass auch kaum spezifische Unterstützungsmaßnahmen für Frauen existieren. Dabei ist das Bewusstsein für den Gender Gap im Bereich Gründen bis jetzt gering – dies gilt gleichermaßen für Gründungsverantwortliche wie für Gleichstellungs- und Diversitätsbeauftragte der Hochschulen.
Exklusiv: akademischer Alltag im deutschsprachigen Universitätsroman : Eine gendersensible praxeologische Analyse
Autor/in:
Deigert, Sabrina
Quelle: GENDER (GENDER – Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft), 11 (2019) 1-2019, S 63–77
Inhalt: nwiefern können Universitätsromane Auskunft über die Verschränkung von Doing Science und Doing Gender im akademischen Alltag geben? Aufbauend auf Bourdieus Feldkonzept gehe ich dieser Frage anhand einer gendersensiblen praxeologischen Analyse von sechs zeitgenössischen deutschsprachigen Universitätsromanen nach. Zwei hervorgehobene Romanbeispiele zu den Praktikenkomplexen Gremienarbeit und informelle Zusammentreffen verweisen auf das Erkenntnispotenzial dieser Literatur für wissenschaftssoziologische Forschung. Doch müssen die Romane gleichzeitig selbst als distinktive kulturelle Praxis gelesen werden, durch die Wissenschaftlerinnen performativ fachliche Eignung abgesprochen wird.
Verwandtschaftsverhältnisse – Geschlechterverhältnisse im 21. Jahrhundert
Autor/in:
Goldan, Lea
Quelle: GENDER (GENDER – Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft), 11 (2019) 2-2019, S 102–120
Inhalt: Die bisherige Promoviertenforschung deutet darauf hin, dass Frauen monetär weniger vom Erwerb eines Doktortitels profitieren als Männer. Daher werden im vorliegenden Beitrag erstmals das Ausmaß und die Ursachen geschlechtsbezogener Lohnunterschiede unter Promovierten in Deutschland untersucht. Es wird erwartet, dass sich promovierte Frauen und Männer hinsichtlich ihrer Studienfachwahl und Beschäftigungsmerkmale unterscheiden. Auf der Grundlage des DZHW-Absolventenpanels 2001 werden die Brutto-Stundenlöhne zehn Jahre nach Studienabschluss mittels OLS-Regression und Oaxaca-Blinder-Dekomposition untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass die Stundenlöhne von promovierten Frauen um 16,3 Prozent geringer sind als diejenigen von promovierten Männern. Diese Lohnunterschiede sind zu zwei Dritteln darauf zurückzuführen, dass promovierte Frauen häufiger Fächer mit einem hohen Frauenanteil studiert haben, nach ihrem Studium weniger Berufserfahrung sammeln und seltener Leitungspositionen innehaben als promovierte Männer.
Karrierehindernis Geschlecht? : Zum Verbleib von Frauen in der Hochschulmedizin
Autor/in:
Hendrix, Ulla; Mauer, Heike; Niegel, Jennifer
Quelle: GENDER (GENDER – Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft), 11 (2019) 1-2019, S 47–62
Inhalt: Dieser Beitrag untersucht, warum Frauen nur selten Professorinnen in der Hochschulmedizin werden, obwohl Medizinstudentinnen mittlerweile deutlich in der Mehrheit sind. Anhand einer Online-Befragung von Assistenzärzt_innen sowie von Interviews mit Akteur_innen in Schlüsselpositionen der Universitätskliniken und medizinischen Fakultäten in NRW werden zwei zentrale Erklärungsansätze aus dem Feld herausgearbeitet: die Annahme, dass die mangelnde Vereinbarkeit von Hochschulmedizin und Familie für den geringen Frauenanteil auf den Professuren verantwortlich ist (1), sowie die Vermutung, dass Frauen wissenschaftliche Karriereambitionen durch falsche Strategien nicht realisieren können (2). Beide Erklärungsansätze operieren jedoch mit essentialistischen Geschlechterbildern, die für die Aufrechterhaltung ungleicher Geschlechterverhältnisse in der Hochschulmedizin zentral sind.
Die Versprechen von Big Data im Spiegel feministischer Rationalitätskritik
Autor/in:
Prietl, Bianca
Quelle: GENDER (GENDER – Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft), 11 (2019) 3, S 11–25
Inhalt: Im Kontext von Digitalisierung und Datafizierung werden seit einigen Jahren die Potenziale und Risiken eines mit dem Aufstieg von Big Data verbundenen, neuen Wahrheitsregimes diskutiert. Dabei steht die Diskussion, wie Big Data aus feministischer Perspektive einzuschätzen ist, noch am Anfang. Der Aufsatz leistet einen Beitrag zu dieser Diskussion, indem er die Versprechen von Big Data, genauer die sich hierin artikulierende erkenntnistheoretische Trias aus Datenfundamentalismus, post-explanativem Antizipationspragmatismus und anti-politischem Solutionismus einer diskurstheoretisch informierten und feministisch inspirierten Rationalitätskritik zuführt. Analytisch rekonstruiert werden so die Verflechtungen der kulturellen (Wissens-)Grundlagen von Big Data mit vergeschlechtlichten und vergeschlechtlichenden Macht- und Herrschaftsverhältnissen.