Inhalt: Ein Barometer von und für die Wissenschaft
Das Barometer der Wissenschaft liefert einen umfangreichen Überblick über die Arbeits- und Forschungsbedingungen an deutschen Universitäten und Hochschulen mit Promotionsrecht. Die hier vorgestellten Ergebnisse stellen einen Ausschnitt der Fragen und Antworten dar, die in der Wissenschaftsbefragung 2023 erhoben wurden. Das Monitoring erfasst die Erfahrungen und Meinungen von 11.371 Wissenschaftler*innen aus ganz Deutschland, dient als empirische Datengrundlage für wissenschaftspolitische Debatten und Entscheidungen und bietet zudem eine Gelegenheit für die Selbstreflexion in der wissenschaftlichen Community. Die Wissenschaftsbefragung wurde vom Institut für Forschungsinformation und Qualitätssicherung im Jahr 2010 ins Leben gerufen und wird seit 2016 vom DZHW durchgeführt. Sie versteht sich als langfristiges Barometer für die Wissenschaft. Da die Erhebung 2023 die vierte nach 2010, 2016 und 2019/20 war, können viele Themen in einem zeitlichen Verlauf untersucht werden. Einstellungen und Meinungen zu wissenschaftspolitischen Themen werden beispielsweise im Rahmen von Trendanalysen untersucht. Eine besondere Vergleichsebene hat sich aufgrund der zeitlichen Taktung der Befragungen ergeben. So fand die letzte Befragung (Ende 2019 bis Februar 2020) direkt vor dem Beginn der ersten weitreichenden Maßnahmen auf Grund der Coronavirus-Pandemie statt. Die aktuelle Kohorte wurde direkt am Ende der Pandemie befragt. Dieser „historische Zufall“ ermöglicht einen analytischen Blick auf die Zeit vor, während und für spätere Kohorten nach der Pandemie. Im aktuellen Barometer haben wir der Pandemie und deren Einfluss auf den Arbeitsalltag in der Wissenschaft einen Abschnitt gewidmet.
Was Sie erwartet
Das Barometer der Wissenschaft ist eine Bestandsaufnahme des Zustandes der Wissenschaft in Deutschland aus der Perspektive der Wissenschaftsforschung. Sie finden in dem Bericht keine Rankings und keine Schulnoten. Weder Wissenschaftler*innen noch die Fächergruppen werden eindimensional nach Leistungskriterien miteinander verglichen. Stattdessen hat der Bericht den Anspruch, eine mehrdimensionale Beschreibung der (Wissenschafts-)Landschaft zu liefern, danach zu fragen, was gut und was nicht so gut läuft – und empirisch zu untermauern. Da die Ursachen für etwaige Dysfunktionalitäten ebenfalls nicht eindimensional sind, enthalten wir uns auch voreiliger Erklärungen und Bewertungen und liefern stattdessen abwägende Erörterungen, vorsichtige Hypothesen und vor allem weiterführende Fragen. Gruppenvergleiche werden durch die Kontrolle von Drittvariablen auf ihre statistische Signifikanz geprüft. Zwei Analyseebenen sind uns besonders wichtig – die Unterscheidung zwischen verschiedenen Fächergruppen und die Differenzierung der wichtigsten Statusgruppen: Professor*innen (Profs), Postdocs und Prädocs. In verschiedenen Analysen werden zusätzlich Juniorprofessuren berücksichtigt. Diese Differenzierungen sind deshalb von Bedeutung, da bloße Mittelwerte über alle Statusgruppen oder Fachdisziplinen hinweg häufig nicht aussagekräftig wären. Mit den Fächern verbinden sich traditionell gewachsene und, nicht selten epistemisch bedingt, unterschiedliche Fachkulturen (Forschungs- und Lehrkulturen), die nicht nur zu unterschiedlichen Praktiken der Forscher*innen führen, sondern auch mit divergierenden Einstellungen und Forderungen an die Wissenschaftspolitik einhergehen. Für die Statusgruppen ist ein differenzierender Blick in ähnlicher Weise von Bedeutung, und zwar dort, wo sich die alltägliche Situation der Prädocs, Postdocs und (Junior-)Profs entweder deutlich unterscheidet oder aber unerwartet stark ähneln.
Zentrale Ergebnisse
Wie steht es um die Wissenschaft in Deutschland? Wir sehen in vielen Kennzahlen relative Stabilität im Wissenschaftssystem, mit einigen interessanten Entwicklungen.
Forschen im Kontext der Coronavirus-Pandemie
Die Coronapandemie wirkt sich negativ auf die Arbeit an Hochschulen aus – sie schränkt die Forschung und Lehre ein, aber unterbindet sie nicht völlig. In einigen Fällen sinkt die empfundene gesellschaftliche Wertschätzung für die eigene Arbeit.
Erwägungen zum Verlassen des Wissenschaftssystems
In Deutschland denkt in der Wissenschaft mehr als jede*r Zweite ernsthaft über einen Ausstieg aus der Wissenschaft nach. Während es für Profs nur für jede*n Fünfte*n so ist, erwägen 71 Prozent der befristet arbeitenden Postdocs einen Ausstieg. Neben der hohen Arbeitsbelastung spielen auch unzureichende berufliche Perspektiven im Zusammenhang mit dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) eine wichtige Rolle.
Arbeits- und Forschungsbedingungen
Wissenschaftler*innen sind allgemein mit ihren Arbeits- und Forschungsbedingungen zufrieden. Allerdings fallen Juniorprofs mit einer teilweise sehr hohen Arbeitsbelastung und niedriger beruflicher Zufriedenheit auf. Insgesamt sind befristete Forscher*innen unzufrieden mit ihren beruflichen Perspektiven. Profs haben weiterhin die höchsten Werte bei der beruflichen Zufriedenheit. Die Schwierigkeiten bei der adäquaten Stellenbesetzung im Mittelbau nehmen laut Profs zu.
Forschungsförderung und Begutachtung
Es werden etwas weniger Förderanträge gestellt, als vor der Pandemie. Wissenschaftler*innen schätzen den Aufwand dafür weiterhin als sehr hoch ein. Im Schnitt begutachten sie Zeitschriftenartikel und Förderanträge etwas seltener als drei Jahre zuvor. Die Begutachtungsqualität bleibt jedoch weitestgehend stabil.
Publikationen
Fächerspezifische Publikationskulturen bleiben erhalten, auch wenn die Publikationsaktivität im Verlauf der Pandemie etwas abgenommen hat. Die Strategien nach denen Fachjournals ausgesucht werden bleiben im Schnitt über die Fächergruppen hinweg stabil.
Wissenschaftlicher Mittelbau
Eine Mehrheit von Promovierenden will nach der Promotion in der Wissenschaft arbeiten, aber nur ein kleinerer Teil strebt eine Professur an. Auch unter Postdocs ist die Professur erstmals nicht mehr das primäre Karriereziel. Die Arbeitsbedingungen im Mittelbau verbessern sich etwas und die durchschnittliche Dauer der befristeten Verträge steigt an, aber fehlende berufliche Perspektiven bleiben das zentrale Thema für diese Wissenschaftler*innen.
Forschen und Lehren an Hochschulen für angewandte Wissenschaften
Profs an HAW haben hohe Lehrdeputate und mehr Betreuungszeit als ihre Kolleg*innen an Universitäten. Trotz des geringeren Zeitbudgets forschen und publizieren sie häufig. Ungeachtet des hohen Arbeitspensums sind HAW-Profs mit ihrem Beruf insgesamt zufrieden. Das gilt insbesondere für die erreichte berufliche Position und die Zufriedenheit mit der Lehrtätigkeit.
Belastbarkeit des wissenschaftlichen Wissens
Die Debatte um die Belastbarkeit des wissenschaftlichen Wissens und um eine mögliche “Replikationskrise” konzentriert sich weiterhin auf einige wenige akademische Disziplinen.
Schlagwörter:Arbeitsbedingungen; Arbeitszufriedenheit; Ausstieg; Befragung; Befristung; COVID-19; Forschungsförderung; Mittelbau; pandemie; Peer Review; Publikation; survey; Wissenschaftler*in; wissenschaftliches Personal; Zufriedenheit
CEWS Kategorie:Wissenschaft als Beruf
Dokumenttyp:Graue Literatur, Bericht