Gender Bias in der Wissenschaft
Forschungsüberblick

Die folgenden Themenüberschriften führen zu einschlägigen Studien zu Gender Bias in der Wissenschaft. Es handelt sich um eine Auswahl an Studienergebnissen, ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Die thematische Anordnung führt in die jeweiligen Schwerpunkte ein und gibt eine Kurzzusammenfassung der aktuellen Forschungslage. Bis auf wenige Ausnahme findet die Forschung zu Gender Bias im angelsächsischen Sprachraum statt, die Forschungsliteratur ist ebenso größtenteils auf Englisch verfasst. Das Kirwan Institute for the Study of Race and Ethnicity der Ohio State University veröffentlichte in „State of the Science: Implicit Bias Review“ von 2013 bis 2017 eine jährlich aktualisierte Übersicht neuer Studien zu Implicit Bias.
In Empfehlungsschreiben ist Gender Bias im Sprachgebrauch vorzufinden: Frauen werden gewöhnlich als gemeinschaftsorientiert und kommunikativ beschrieben, Männer hingegen als leistungsstark und entscheidungsfreudig. Die Frauen zugeschriebenen Attribute wirken sich dabei negativ auf Einstellungsentscheidungen aus. Ebenso werden Lehrfähigkeiten von Frauen in Empfehlungsschreiben betont, während in jenen von Männern deren Forschungsfähigkeiten hervorgehoben werden. Sprachlich zeigt sich zudem in Empfehlungsschreiben für Frauen die Verwendung zahlreicher negativer, Zweifel äußernder Wörter, generell weniger Anerkennung zollender Worte sowie negativer, unergründlicher Aussagen. Auch ist der Anteil an Textstellen mit explizitem Bezug auf intellektuelle Brillanz in Empfehlungsschreiben für Frauen weitaus geringer als in jenen für Männer.
Folgende Studien haben Gender Bias in Empfehlungsschreiben nachgewiesen:
- Judson/Ross/Glassmeyer (2019): How Research, Teaching, and Leadership Roles are Recommended to Male and Female Engineering Faculty Differently
- Madera et al. (2018): Raising Doubt in Letters of Recommendation for Academia: Gender Differences and Thier Impact
- Dutt et al. (2016): Gender differences in recommendation letters for postdoctoral fellowships in geoscience
- Trix/Psenska (2003): Exploring the Color of Glass: Letters of Recommendation for Female and Male Medical Faculty

In Auswahlverfahren sind die Beurteilungen der Lebensläufe von Frauen geprägt von Gender Bias, sodass Frauen sich weitaus besser präsentieren müssen, um gleichwertige Beurteilungen wie Männer zu erhalten. Negativ beeinflusst durch Gender Bias sind dabei vor allem die anfänglichen Karrierestufen von Frauen, die stark von Gruppenzugehörigkeiten und akademischen Netzwerken geprägt sind. Auch die Mitglieder von Auswahlkommissionen unterliegen Gender Bias, indem sie Kandidat*innen aus der eigenen Gruppen- und Netzwerkzugehörigkeit präferieren und Bewerber trotz identischer Lebensläufe im Vergleich zu Bewerberinnen generell als fähiger beurteilen. Zudem werden Bewerbern ein höheres Einstiegsgehalt sowie öfter die Teilnahme an Mentoringprogrammen angeboten. Dabei trägt eine geschlechterparitätische Besetzung der Auswahlkommissionen nicht automatisch zu geschlechtergerechteren Beurteilungen bei. Vielmehr zeigt sich bezüglich der Gehalts- und Mentoringangebote ein stärker ausgeprägter Gender Bias bei weiblichen Mitgliedern der Kommissionen. Auch die höhere Publikationszahl von Bewerbern wird im Auswahlprozess stärker positiv bewertet als die Qualität der Publikationen, was den anzahlmäßig geringer publizierenden Bewerberinnen zum Nachteil gereicht. Bezüglich der Zitationsrate von Publikationen weisen Studien zudem höhere Qualitätsbewertungen jener Publikationen nach, die (angeblich) von Männern verfasst wurden. Auch die Attraktivität, mit Autoren Kooperationen einzugehen, ist weitaus größer als mit Autorinnen. Studien zu Auswahlverfahren im Allgemeinen sind nachfolgend aufgelistet:
- Quadlin (2018): The Mark of a Woman’s Record. Gender and Academic Performance in Hiring
- Peus et al. (2015): Personalauswahl in der Wissenschaft
- Kaatz/Guerrez/Carnes (2014): Threats to objectivity in peer review: the case of gender
- Moss-Racusin et al. (2012): Science faculty’s subtle gender biases favor male students
- Heilman/Hayns (2008): Subjectivity in the Appraisal Process: A Facilitator of Gender Bias in Work Settings
- Zogmaister et al. (2008): The Impact of Loyalty and Equality on Implicit Ingroup Favoritism
- Steinpreis/Anders/Ritzke (1999): The Impact of Gender on the Review of the Curricula Vitae of Job Applicants and Tenure Candidates: A National Empirical Study
Vielzitierte Studien zu Gender Bias bei der Bewertung von Publikationen sind über das Anklicken der Links nachfolgend abrufbar:
- Knobloch-Weserwich/Glynn/Huge (2013): The Matilda Effect in Science Communication: An Experiment on Gender Bias in Publication Quality Perception and Collaboration Interest
- Maliniak/Powers/Walter (2013): The Gender Citation Gap in International Relations
- West et al. (2013): The Role of Gender in Scholarly Authorship
Die von Rosabeth Moss Kanters 1977 publizierte Studie „Men and women of the corporation“ gilt als Grundlage weiterführender Forschungen zum Phänomen der Homosozialität, welches die Präferenz für uns ähnliche Menschen und die Orientierung der Mitglieder dieser sozialen Gruppe aneinander beschreibt. Dieses Verhalten führt in Auswahlverfahren an Hochschulen und Forschungseinrichtungen zu Einstellungen von Bewerber*innen, die den Auswählenden ähnlich erscheinen in Aussehen, Verhalten und bestimmten Gesellschaftskategorien wie Geschlecht und Herkunft und somit einen bestimmten Typus an Führungskräften und Mitarbeiter*innenschaft reproduzieren. Dieses auch als Mini-Me-Effekt und Homophilie bezeichnete Phänomen erhöht sich mit steigender Hierarchieebene und Leitungsposition und ist ein Erklärungsansatz für die weiterhin wirksame gläserne Decke, die Frauen den Zugang zu Spitzenpositionen und Führungsebenen verwehrt. Evidence-Based Studien, die Mini-Me-Effekte in Bewerbungsverfahren und Auswahlprozessen erforschen, stehen größtenteils noch aus. Studien wie „Homophily in higher edcuation“ verweisen auf das Phänomen der Homophilie, untersuchen jedoch nicht deren genaue Wirkungsweise.
Im Wirtschaftsbereich sind Einführungstexte auf der Plattform Anti-Bias und Unternehmensseiten zu finden. Die Literaturstudie „Intergroup Bias“ von Hewstone, Rubin und Willis gibt die aktuellen Ergebnisse im Forschungsfeld Intergroup Bias, definiert als systematische Höherbewertung der eigenen Gruppenmitglieder, wieder und weist zukünftige Forschungsfelder sowie Strategien aus, um Intergroup Bias zu reduzieren.

In Lehre und Forschung liegen fundierte Erkenntnisse aus der Bias-Forschung vor, die einen generellen Gender Bias in Evaluationen von Lehrenden durch Studierende sowie von Antragstellenden zur Forschungsförderung nachweisen. Auch belegen zahlreiche Studien Gender Bias in Lehrevaluationen durch Studierende, was weibliche Lehrende aufgrund der Relevanz dieser Evaluationen in Bewerbungsverfahren benachteiligt und die Nutzung von Lehrevaluationen in Einstellungsprozessen in Frage stellt. Insgesamt wird Gender Bias nicht nur bei Gutachtenden selbst nachgewiesen, sondern ebenso in Kriterien der Evaluation, vor allem im Kriterium einer sogenannten „wissenschaftlichen Exzellenz der Forschenden“, sowie in den Verfahren von Forschungsförderung und -finanzierung. Nicht nur Bias aufgrund des Geschlechts, sondern weitere Eigenschaften der Lehrpersonen wie deren subjektive Schönheit beeinflussen Lehrevaluationen, wie Hamermesh und Parker 2003 in „Beauty in the Classroom: Professors‘ Pulchritude and Putative Pedagogical Productivity“ darlegen.
Nachfolgend aufgelistet sind Studien zur Lehrevaluation durch Studierende:
- Mengel/Sauermann/Zölitz (2019): Gender Bias in Teaching Evaluations
- Peterson et al. (2019): Mitigating gender bias in student evaluations of teaching
- DeSantis (2015): How Reviews on ‘Rate My Professors’ Describe Men and Women Differently. In: The Chronicle of Higher Education, 09.02.2015
- Miller (2015): Is the Professor Bossy or Brilliant? Much Depends on Gender. In: The New York Times, 06.02.2015
- Schmidt (2015): Gendered Language in Teacher Reviews
- MacNell/Driscoll/Hunt (2014): What’s in a Name: Exposing Gender Bias in Student Ratings of Teaching
- Titus (2008): Student ratings in a consumerist academy: leveraging pedagogical control and authority
- Sprague/Massoni (2005): Student Evaluations and Gendered Expectations: What We Can't Count Can Hurt Us
- Harlow (2003): ‘Race Doesn’t Matter, But…’: The Effect of Race on Professors’ Experiences and Emotion Management in the Undergraduate College Classroom [qualitative Studie]
Die Studie von Wenneras und Wold (1997) „Nepotism and sexism in peer-review“ gilt im Forschungsbereich zu Gender Bias in der Forschungsförderung als Klassikerin, wurde jedoch auch intensiv diskutiert und teilweise widerlegt. Im LERU Advice Paper wird auf die im EU-Durchschnitt 4 % höhere Erfolgsrate von Antragstellern gegenüber Antragstellerinnen von Forschungsförderung verwiesen. Ebenso stellen Studien die Bewertungen höherer Qualität von Antragstellern trotz qualitativ gleichwertiger Anträge von Antragstellerinnen fest.
Das EU-Projekt „Grant Allocation Disparities from a Gender Perspective“ (GRANteD) untersucht das Vorkommen und die Gründe für Gender Bias in der Forschungsförderung in Europa. Aufgrund der sehr unterschiedlichen Forschungsergebnisse ist ein Ziel des Projektes, einen fundierten methodischen Ansatz zu entwickeln.
Nachfolgend sind ein deutschsprachiger Forschungsüberblick über Studien zu Gender Bias in der Evaluation von Forschungsleistungen und Anträgen, Forschungsförderung und -finanzierung sowie weitere wichtige Studien zu dem Thema aufgeführt:
- Guglielmi (2018): Gender bias goes away when grant reviewers focus on the science
- Lee, van der/Ellemers (2015): Gender contributes to personal research funding success in The Netherlands
- Bohnet/Geen/Bazerman (2012): When Performance Trumps Gender Bias: Joint versus Separate Evaluation
- Lincoln et al. (2012): The Matilda Effect in science: Awards and prizes in the U.S., 1990s and 2000s
- Mutz/Bornmann/Daniel (2012): Does Gender Matter in Grant Peer Review? An Empirical Investigation Using the Example of the Austrian Science Fund. In: Zeitschrift für Psychologie/Journal of Psychology 220 (2), S. 121–129
- Samjeske (2012): Gender Bias in der Forschungsförderung – ein Forschungsüberblick. In: Femina Politica - Zeitschrift für feministische Politik-Wissenschaft 21 (1), S. 158–162
- Auspurg/Hinz (2010): Antragsaktivität und Förderchancen von Wissenschaftlerinnen bei Einzelanträgen auf DFG-Einzelförderung im Zeitraum 2005-2008. Unter Mitarbeit von Ina Findeisen. Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG): Bonn
- NAS (National Academy of Sciences) (2007): Beyond Bias and Barriers: Fulfilling the Potential of Women in Academic Science and Engineering
- Ornstein/Stewart/Drakich (2007): Promotion at Canadian Universities: The Intersection of Gender, Discipline, and Institution
- Side/Robbins (2007): Institutionalizing Inequalities in Canadian Universities: The Canada Research Chairs Program
Zu (Gender) Bias in der Leistungsbewertung von Studierenden durch Dozierende ist eine Forschungslücke zu konstatieren; lediglich wenige Studien liegen vor: So werden in der Studie „Visibly Invisible: Stigma and the Burden of Race, Class and Gender for Female Students of Color Striving for an Academic Career in the Sciences“ von Bowen (2009) Interviews mit Studierenden of color aus intersektionaler Perspektive vergleichend analysiert und die Verflechtungen von race, gender und class aufgezeigt. Milkman, Chugh und Akinola weisen in „What Happens Before? A Field Experiment Exploring How Pay and Representation Differentially Shape Bias on the Pathway Into Organizations“ (2015) Bias bei Professor*innen gegenüber Promotionsinteressierten nach. Mischaus Studie „Wahrnehmung, Reproduktion und Internalisierung von Geschlechterasymmetrien und Geschlechterstereotypen bei Mathematikstudierenden“ (2007) eruiert Diskriminierungserfahrungen von Mathematikstudentinnen durch Lehrende und Studierende in alltäglichen Interaktionen und in unterschiedlichen Mathematikstudiengängen.