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Gender Bias in der Wissenschaft

Forschungsüberblick

Die folgenden Abschnitte fassen einschlägige Studien zu Gender Bias in der Wissenschaft zusammen. Es handelt sich um eine Auswahl an wichtigen Studienergebnissen ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Die einzelnen Abschnitte führen führen in die jeweiligen Schwerpunkte ein und geben eine kurze Zusammenfassung der Forschungslage. Zu Gender Bias forschen – mit wenigen Ausnahmen – vor allem Wissenschaftler*innen aus dem angelsächsischen Sprachraum, dementsprechend ist die Forschungsliteratur größtenteils auf Englisch verfasst.

Als Einstieg empfiehlt sich der Beitrag von Horvath und Blackmore (2021). In ihrem Artikel „Nicht mit ihnen und nicht ohne sie: Implizite Biases in der Wissenschaft“ erläutern sie den Bias-Begriff, geben einen Überblick über existierende Biases und formulieren Empfehlungen für die Wissenschaft. Als englischsprachiges Pendant geben Llorens et al. (2021) in dem Artikel „Gender bias in academia: A lifetime problem that needs solutions“ einen Überblick über Gender Bias in der Wissenschaft mit den Themen Autorenschaft und Peer-review, Zitation, Finanzierung, Lehre, Auswahlverfahren, Konferenzen, sexuelle Belästigung und Familienplanung. Auch dieser Beitrag enthält Empfehlungen zur Reduktion von Gender Bias in der Wissenschaft.

Empfehlungsschreiben können durch die verwendete Sprache einen Gender Bias aufweisen: Frauen werden häufiger als gemeinschaftsorientiert und kommunikativ beschrieben, Männer hingegen als leistungsstark und entscheidungsfreudig. Die Frauen zugeschriebenen Attribute wirken sich dabei negativ auf Einstellungsentscheidungen aus. Ebenso werden Lehrfähigkeiten von Frauen in Empfehlungsschreiben betont, während in jenen von Männern deren Forschungsfähigkeiten hervorgehoben werden. Sprachlich zeigt sich zudem in Empfehlungsschreiben für Frauen die häufigere Verwendung von negativen und Zweifel äußernden Wörter, Wörtern, die weniger zusprechen, sowie negativer, unergründlicher Aussagen. Auch ist der Anteil an Textstellen mit explizitem Bezug auf intellektuelle Brillanz in Empfehlungsschreiben für Frauen weitaus geringer als in jenen für Männer.

Folgende Studien haben Gender Bias in Empfehlungsschreiben untersucht:

Gender Bias in Auswahlverfahren tritt vor allem dadurch in Erscheinung, dass die Lebensläufe und Leistungen von Frauen und Männern unterschiedlich wahrgenommen und bewertet werden. So zeigte eine grundlegende Studie von Moss-Rascusin, bei der identische Lebensläufe mit unterschiedlichen Vornamen verschickt wurden, dass Bewerbern ein höheres Einstiegsgehalt sowie öfter die Teilnahme an Mentoringprogrammen angeboten wurden. Gender Bias beeinflusst insbesondere die frühen Karrierestufen von Frauen, die stark von Gruppenzugehörigkeiten und akademischen Netzwerken geprägt sind. Entscheidend sind die Bewertungen durch Mitglieder von Auswahlkommissionen, die durch Gender Bias geprägt sein können, indem sie Kandidat*innen aus der eigenen Gruppen- und Netzwerkzugehörigkeit präferieren und Bewerber trotz identischer Lebensläufe im Vergleich zu Bewerberinnen generell als fähiger beurteilen. Aufgrund von Gender Bias in Auswahlverfahren müssen sich Frauen besser präsentieren, um gleichwertige Beurteilungen wie Männer zu erhalten. Dabei trägt eine geschlechterparitätische Besetzung der Auswahlkommissionen nicht automatisch zu geschlechtergerechteren Beurteilungen bei. Auch Frauen können in ihren Bewertungen durch einen Gender Bias bei beeinflusst sein.

Studien zu Auswahlverfahren in der Wissenschaft und Forschung sind nachfolgend aufgelistet:

Der Beitrag von Wenneras und Wold (1997) „Nepotism and sexism in peer-review“ untersuchte als eine der ersten Studien den Gender Bias in der Forschungsförderung und erregte damit großes Aufsehen innerhalb der Wissenschaft. Die Studie zeigte, dass Wissenschaftlerinnen bei der Beantragung von Forschungsstipendien beim schwedischen Medical Research Council bei gleicher wissenschaftlicher Produktivität schlechtere Bewertungen als Männer erhielten. Einerseits das Geschlecht und andererseits die Bekanntschaft der*des Antragsteller*in mit einem Ausschussmitglied hatten einen signifikanten Einfluss auf Förderentscheidungen und führten zu einer Begünstigung von männlichen Antragstellern. Als Klassikerin der Gender-Bias-Forschung in der Forschungsförderung wurde diese Studie intensiv diskutiert. Eine frühe Studie von Ward und Donnelly (1998) kommt zu gegenteiligen Ergebnissen. Ihre Studie zeigt für Forschungsstipendien des australischen National Health and Medical Research Council keinen geschlechterspezifischen Unterschied. Die erste Meta-Analyse von Bornmann et al. (2007) zeigt dagegen, dass die Bewilligungswahrscheinlichkeit für Wissenschaftler um 7% höher ist als für Wissenschaftlerinnen. Die Replikation der Wenneras-und-Wold-Studie von Sandström und Hällsten (2008) zeigte, dass Wissenschaftlerinnen nicht mehr schlechter beurteilt wurden, möglicherweise auch eine Folge von Änderungen im Begutachtungssystem. Das Problem des Nepotismus bestand jedoch weiterhin. Neuere Studie, die den Ergebnissen von Wenneras/ Wold widersprachen, waren Anlass für Samjeske (2012) einen Forschungsüberblick zu verfassen. Sie fokussierte dabei auf die deutsche Forschungslandschaft, vor allem Studien zur DFG, mit widersprüchlichen Ergebnissen, jeweils abhängig von Fächern, Förderjahren oder Förderinstitutionen. Eine aktuelle Studie von Löther, Freund und Lipinsky (2022) zur Humboldt-Stiftung zeigt keine Geschlechterungleichheiten im Begutachtungsprozess, aber mögliche ausschließende Praktiken und Strukturen im Vorfeld von Bewerbungen und Nominierungen.

Eine Veröffentlichung der League of European Research Universities zu Implicit Bias in Academia (Stand 2018) errechnet im EU-Durchschnitt eine 4 Prozent höhere Erfolgsrate von Antragstellern gegenüber Antragstellerinnen. Das 2019 gestartete EU-Projekt „Grant Allocation Disparities from a Gender Perspective“ (GRANteD) untersucht das Vorhandensein und die Gründe für Gender Bias in der Forschungsförderung in Europa. Dafür werden Peer-Review-Praktiken innerhalb von Auswahlgremien in den Blick genommen. Van den Besselaar und Mom (2020) stellen in einer ersten Studie dieses Projektes ein konsistentes Muster im Hinblick auf Gender Bias bei Vergabe von Punktzahlen fest. Während es im ersten Entscheidungsschritt mehr Vorbehalte gegen Wissenschaftlerinnen gibt, so dass 75% der Bewerbungen abgelehnt werden, hat die geschlechterspezifische Voreingenommenheit im zweiten und endgültigen Entscheidungsschritt positive Auswirkungen zugunsten der Frauen. Inwieweit Frauen gegenüber Männern geringere Chancen auf eine Forschungsförderung haben, hängt maßgeblich von den einzelnen Panels ab. Die Studie liefert Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen der Zusammensetzung von Kommissionen und der geringeren Punktzahl für Anträge von Forscherinnen.

Literaturangaben

Weitere Studien finden Sie in Lit@CEWS mit einer vorbereiteten Suchanfrage. 

Gender Bias kann im gesamten Veröffentlichungsprozess auftreten, beispielsweise in der Auswahl der Gutachter*innen und deren Bewertungspraktiken, der Qualitätsbewertung und der Wahrnehmung und Bewertung von Relevanz durch Zitationspraktiken.

Zur Geschlechterverteilung im Publikationsprozess zeigt die Analyse des Frontier Journals von Helmer (2017), dass nur jeweils 37 %, 28 % nd 26 % der Autor*innen, Begutachter*innen und Herausgeber*innen weiblich waren. Außerdem wählen Herausgeber*innen eher Gutachter*innen des gleichen Geschlechts. Auch Fox et al. (2016) weisen auf diese Homophilie hin: Herausgeberinnen wählen 5-10 % mehr Frauen zur Begutachtung von Fachartikeln aus als ihr männliches Pendant. Im Gegensatz dazu stellen Bransch und Kvasnicka (2017) für fünf Wirtschaftsjournals fest, dass bei Herausgeberinnen der Anteil der Artikel, die von Frauen (mit-)verfasst werden, eher geringer ist als bei Herausgebern.

Allmendinger und Hinz (2002) stellten für die Soziologie in Deutschland fest, dass Frauen niedrigere Chancen zur Veröffentlichung eines Fachartikels als Männer haben. Dagegen ergab die Studie von Squazzoni et al. (2021) eine höhere Publikationswahrscheinlichkeit sowohl Manuskripte von Frauen als von geschlechterübergreifenden Autorenteams. Ein Grund für die höhere Annahmequote könnte laut den Autor*innen sein, dass Frauen generell seltener veröffentlichen und Frauen möglicherweise mehr Arbeit in die jeweilige Veröffentlichung investieren, um einen erwarteten Gender Bias zu umgehen. Auch Kranak et al (2021) finden in ihrer Analyse einer Zeitschrift keine höhere Ablehnungsquote für Publikationen von Frauen. Der Einfluss eines möglichen Gender Bias zeigt sich bei einer Änderung in der Form des Begutachtungsverfahrens. Mit dem Wechsel von einem Blind Review - nur Begutachter*innen sind anonym - zu einem Double Blind Review - auch die Identität der Autor*innen ist unbekannt - stieg der Frauenanteil bei den Veröffentlichungen der Fachzeitschrift Behavioral Ecology um 7,9 %, dreimal schneller als der generelle Anstieg von Wissenschaftler*innen in diesem Fachbereich (Budden et al, 2008).

In der Bewertung von Artikeln oder der Ablehnungsquote finden Fox et al. (2016) keine Unterschiede zwischen männlichen oder weiblichen Gutachter*innen. Im Gegensatz dazu schreiben nach einer Studie von Ortega (2017) Frauen seltener Peer Reviews als Männer und akzeptieren als Gutachterinnen weniger Artikel; was auf einen höheren Anspruch seitens der Wissenschaftlerinnen hindeuten könnte. Die Geschlechterunterschiede in der Review-Praxis könnten mit der Karrierestufe zusammenhängen: Junge Wissenschaftler*innen sind kritischer, möglicherweise wegen eines aktuelleren Überblicks über Methodik und eines größeren Konkurrenzdrucks, und weibliche Gutachterinnen sind häufiger auf einer niedrigeren Karrierestufe als männliche.

Auch Gender Bias bei Zitierpraktiken kann zur Benachteiligung unterrepräsentierter Gruppen führen. Die Anzahl der Publikationen sowie ihre Zitation stellen wichtige Kriterien in Rekrutierungsverfahren dar und beeinflussen, ob und wie Wissenschaftler*innen als Expert*innen wahrgenommen werden. Studien von Maliniak et al. (2013) und Knobloch-Weserwich et al. (2013) weisen darauf hin, dass Artikel von Wissenschaftlerinnen als weniger relevant wahrgenommen werden. Letztere zeigen experimentell, dass Artikel von männlichen Wissenschaftlern, vor allem bei männlich konnotierten Themen, eine höhere wissenschaftliche Qualität zugesprochen wird. Auch das Interesse an einer Kooperation war bei Forschern größer, wenn es sich um ein männlich-dominierendes Feld handelte. West et al. (2013) untersuchen in den Fachbereichen Natur-, Sozial- und Geisteswissenschaft, dass Artikel von männlichen Erst- und Letztautoren deutlich öfter, Beiträge von Soloautorinnen dagegen seltener zitiert werden als erwartbar wäre. Chan und Torgler (2020) zeigen, dass Forscherinnen in den Fächern Mathematik und Statistik, Ingenieurwissenschaften sowie Physik und Astronomie am wenigsten zitiert werden. Diese Ergebnisse sind in verschiedenen Fächern zu erkennen, beispielsweise in den Studien von Dworkin et al. (2020) in den Neurowissenschaften, Wang et al. (2021) in der Kommunikationswissenschaft, Chatterjee & Werner (2021) in Medizin und Maddi & Gingras (2021) in Wirtschaft und Management. 

Literaturangaben

Weitere Studien finden Sie in Lit@CEWS mit einer vorbereiteten Suchanfrage.

Nur wenige Studien beschäftigten sich mit Gender Bias bei wissenschaftlichen Konferenzen und Tagungen. So untersuchen Hinsley et al. (2017), wer sich an Diskussionen – in Form von Fragen – an Fachkonferenzen beteiligt. Trotz einem höheren Frauenanteil  der Teilnehmenden  stellen Wissenschaftler mehr Fragen als Wissenschaftlerinnen und haben somit mehr Möglichkeiten, die Diskussion mitzugestalten. Im Fall einer Konkurrenz-Situation zwischen einer Teilnehmerin und einem Teilnehmer, der*die eine Frage stellen möchte, wurden Wissenschaftler öfter ausgewählt, um die Frage stellen zu können. Dabei spielte das Geschlecht der Moderator*innen keine Rolle. Aufenvenne et al. (2021) zeigen Geschlechterunterschiede sowohl bei der Beteiligung als auch beim Kommunikationsverhalten.  Sie bestätigen, dass Männer die Diskussionsrunden dominieren, da sie häufiger und länger sprechen. Auch erreichen Vorträge von Männern aufgrund eines selektiven Teillnahmeverhaltens der Männer höhere Teilnahmezahlen: Männer besuchen häufiger Vorträge von Männern als von Frauen. Des Weiteren sind Frauen unterrepräsentiert, wenn es um Leitungsaufgaben geht.

Nittrouer et al. (2018) zeigen in ihrer Untersuchung von wissenschaftlichen Kolloquien an 50 US-amerikanischen Colleges, dass  Wissenschaftler häufiger als ihre weiblichen Kolleginnen eingeladen werden. Forscherinnen werden erst dann häufiger als Rednerinnen eingeladen, wenn Frauen in Kolloquiums-Ausschüssen vertreten sind. Dumitra et al. (2019) stellen in ihrer Untersuchung fest, dass der Anteil der Forscherinnen an medizinischen Fachkonferenzen zwar gewachsen ist, diese jedoch eher als Moderatorinnen und weniger als Panelsprecherinnen und damit Expertinnen eingeladen werden. Larson et al. (2020) kamen in ihrer Studie zu einem ähnlichen Ergebnis. Auch sie zeigen einen Anstieg von Forscherinnen als Teilnehmerinnen, jedoch bleibt der Anteil von Frauen als Hauptrednerinnen weiterhin gering. Roeser et al. (2020) bestätigen, dass insbesondere bei der Vergabe von verantwortungsvollen Positionen innerhalb der Konferenzen wie Präsident*innen oder Plenarsitzungsredner*innen ein erhebliches Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern besteht. Sie weisen darauf hin, dass entsprechende Aufgaben durch Einladungen vergeben werden; was wiederum auf einen Gender Bias hindeutet. Auch Burford et al. (2020) widmen sich in ihrer qualitativen Studie den geschlechtsspezifischen Unterschieden bei Konferenz-Aufgaben. Ihr Augenmerk liegt dabei auf der Organisation von Konferenzen. Sie beschreiben die Aufgabe, eine angenehme Atmosphäre zu schaffen als „academic housekeeping“ und vergeschlechtlichte Aufgabe, die vorwiegend Frauen zugewiesen wird. 

Literaturangaben:

Fundierte Erkenntnisse zahlreicher Studien weisen Gender Bias in Evaluationen von Lehrenden durch Studierende nach. Dieser Gender Bias bei Lehrevaluationen wird für die wissenschaftliche Karriere relevant, wenn weibliche Lehrende aufgrund der Relevanz dieser Evaluationen in Bewerbungsverfahren benachteiligt sind . Nicht nur Bias aufgrund des Geschlechts, sondern weitere Eigenschaften der Lehrpersonen wie deren subjektive Schönheit beeinflussen Lehrevaluationen, wie Hamermesh und Parker 2003 in „Beauty in the Classroom: Professors‘ Pulchritude and Putative Pedagogical Productivity“ darlegen.

Nachfolgend aufgelistet sind Studien zur Lehrevaluation durch Studierende: